Ärztin bei AnDOCken (ärztliche und soziale Praxis für Menschen ohne Papiere)
Auslandsaufenthalte: Chile, Ecuador, Spanien.
Können Sie uns mehr über Ihre Arbeit erzählen?
Ich arbeite als Allgemeinmedizinerin zusammen mit einer Gynäkologin und einer Soziarbeiterin sowie zwei medizinischen FachangestelltInnen bei AnDOCken, einer Praxis für Menschen ohne Papiere. Die Sprechstunde steht allen MigrantInnen aus Nicht-EU-Staaten offen, die ohne gültige Aufenthaltserlaubnis in Hamburg leben. Die Praxis wird ausschließlich von Spenden und Eigenmitteln der Diakonie Hamburg finanziert. Häufige Krankheitsbilder sind ähnlich wie in einer normalen Hausarztpraxis: arterieller Hypertonus, Diabetes mellitus, Rückenschmerzen und Infekte. Was wir häufiger sehen, sind Menschen, die z. B. an Hepatitis B, HIV oder Tuberkulose erkrankt sind. Sollte eine besondere fachärztliche Abklärung notwendig sein, bemühen wir uns, diese über die Clearingstelle der Stadt Hamburg zu organisieren bzw. überweisen die PatientInnen an niedergelassene FachärztInnen aus unserem Netzwerk. Im Notfall erfolgt die Einweisung ins Krankenhaus. Formal kann das Krankenhaus über den Paragraphen (§25 SGBXII), nach dem jeder Mensch unabhängig von seinem Aufenthaltsstatus Anrecht auf eine notfallmäßige Behandlung hat, die Kosten für die Behandlung über das zuständige Sozialamt erstattet bekommen. Leider erleben wir immer wieder, dass in Krankenhäusern PatientInnen eine notfallmäßige Versorgung verweigert wird.
Viel Zeit verbringe ich damit, für sogenannte „Problemfälle“ individuelle Lösungen zu suchen. Dies geschieht in enger Zusammenarbeit mit SozialberaterInnen und AnwältInnen. Es handelt sich meist um PatientInnen mit schwerwiegenden Erkrankungen (z. B. Tumorerkrankungen, fortgeschrittene HIV-Infektion). In solchen Fällen streben wir eine Duldung bzw. humanitären Abschiebstopp an, mit dem PatientInnen dann Anrecht auf eine gesetzliche Krankenversicherung haben.
Neben der PatientInnenversorgung arbeite ich im Rahmen meiner Tätigkeit bei AnDOCken auch eng mit anderen karitativen Einrichtungen (Medinetz Hamburg) zusammen. Wir versuchen, gemeinsam auf Missstände hinzuweisen, um z. B. im Gespräch mit der Gesundheits- und Sozialbehörde der Stadt Hamburg Lösungen zu erarbeiten.
Was gefällt Ihnen am meisten und was am wenigsten an Ihrer Arbeit?
Den täglichen Kontakt zu vielen unterschiedlichen Kulturen empfinde ich als sehr bereichernd. Die Mehrheit meiner PatientInnen stammt aus Afrika, davon ein Großteil aus Ghana. Weiterhin sind Südamerika, Südostasien und Osteuropa stark vertreten. Mit meinen Englisch- und Spanischkenntnissen komme ich meistens zurecht, ansonsten bringen die PatientInnen Bekannte mit, die übersetzen können.
Die Atmosphäre im Team ist sehr familiär. Wir haben viel Gestaltungspielraum und es gibt kaum Hierarchien im Gegensatz zum Krankenhaus.
Die Möglichkeit, in begrenztem Umfang politische Debatten mit anzustoßen bzw. zu führen, gefällt mir. Auch wenn wir nur sehr kleine Erfolge erzielen, bietet sich hier die Möglichkeit, nicht sprach- und machtlos Unterversorgung hinzunehmen, sondern sich für unsere PatientInnen und ihre Rechte einzusetzen.
Ein negativer Aspekt meiner Arbeit wäre u. A., dass es nicht immer gelingt die adäquate Therapie für jeden Einzelnen zu erhalten. Gewisse Therapien kann die Diakonie aufgrund der hohen Kosten nicht tragen, wie z. B. HIV- und Hepatitistherapien. In diesen Fällen müssen wir über AnwältInnen versuchen, eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten, mit der PatientInnen automatisch Anspruch auf eine gesetzliche Krankenversicherung haben. Trotz hohem Aufwand sind diese Bemühungen nicht immer erfolgreich. Die meisten der PatientInnen, die an einer HIV-Infektion oder Hepatitis B erkrankt sind, bleiben leider unbehandelt.
Obwohl wir auch positive Erfahrungen mit KollegInnen aus Krankenhäusern machen, ist die Kommunikation schwierig und ich würde mir einen respektvolleren Umgang wünschen. Andererseits weiß ich auch, dass unser Patientenklientel aufgrund der beschriebenen Besonderheiten (Migrationshintergrund mit Sprachbarriere, fehlender Versicherungsschutz) alle Beteilgten vor Herausforderungen stellt.
Es wäre erfreulich, wenn mehr Gelder des Gesundheitsbudgets in die angemessene Versorgung von Menschen ohne Versicherungsschutz fließen würden anstatt in überflüssige Diagnostik.
Aus rein persönlicher Perspektive würde ich mir eine Erweiterung unserer Sprechzeiten bei AnDOCken und eine tarifgerechte Bezahlung wünschen.
Wie schaffen Sie es Ihre klinische Tätigkeit mit Ihrem Engagement zu vereinbaren?
Aktuell habe ich das Glück, dass ich meine Tätigkeit bei AnDOCken als sinnvoll und interessant empfinde. In meinen ersten Ausbildungsjahren, war es zeitlich unmöglich, mich neben der Krankenhausarbeit zusätzlich zu engagieren. Mit zunehmender Berufserfahrung hielt ich dann 2009 mit einer Freundin zusammen in der Alimaus (Tagesstätte für Obdachlose und Bedürftige) eine medizinische Sprechstunde.
Einmal im Jahr halte ich zudem ein kleines Seminar für Hamburger Medizinstudenten am UKE zu dem Thema „Versorgung von Menschen ohne Papiere in Notfallsituationen“.
Welche Herausforderungen mussten Sie sich in Ihrem beruflichen oder persönlichen Leben stellen? Wie haben Sie diese überwunden?
Lange war ich mir nicht sicher ob meine Berufswahl die richtige für mich ist. Besonders in den ersten Ausbildungsjahren fiel es mir nicht leicht, durchzuhalten. Ich hatte den Eindruck, durch das Studium unzureichend auf den Alltag und die Verantwortung im Krankenhaus vorbereitet worden zu sein, ich empfand die starren Hierarchien und das Miteinander im Krankenhaus als belastend. Am meisten hat es mir in solchen Momenten geholfen, mich mit befreundeten KollegInnen auszutauschen.
Wann hatten Sie zum ersten Mal Kontakt mit Public-, Global Health oder humanitäre Hilfe?
Meine ersten Erfahrungen habe ich während eines Volontariats in Chile gesammelt. Damals war ich noch Medizinstudentin und habe mit einem Physiotherapeuten und einer Krankenschwester zusammen mehrere pflegebedürftige PatientInnen drei Monate ambulant betreut.
2012 hatte ich die Möglichkeit, drei Monate lang in Ecuador bei einem niedergelassenen Allgemeinmediziner auf dem Land mitzuarbeiten. Ich bin für drei Monate von meinem damaligen Arbeitgeber freigestellt worden. Es war spannend, den Alltag des Kollegen zu erleben, der nur in sehr ausgewählten Fällen PatientInnen zu SpezialistInnen in die Hauptstadt überweisen konnte. Ich habe während des Aufenthaltes auch unterrichtet u. A. ein kleines Seminar zu wichtigen Gesundheitsthemen (Sexualkunde, Reanimation, Infektionskrankheiten) gehalten. Das war eine sehr spannende Erfahrung, die ich nicht missen möchte.
Haben Sie Ratschläge an Medizinstudierende, die sich in diesem Bereich engagieren möchten?
Ich denke es ist wichtig sich immer wieder die Frage zu stellen, was einem an der aktuellen Situation gefällt und was man langfristig erreichen möchte. Mir hat es geholfen mit KollegInnen zu sprechen und auch mal laut zu „träumen“. So bin ich auf meinem Weg durch Zufall Menschen begegnet, die mir hilfreiche Tipps geben konnten und meinen Weg maßgeblich beeinflusst haben.
Um eine ehrenamtliche Tätigkeit neben der Krankenhausarbeit auszuüben, bedarf es einer guten Work-Life-Balance und Zeitmanagements.
Lebenslauf: