Das Menschenrecht auf Nahrung während der Pandemie

Ein Alltag ohne die COVID-19-Pandemie ist kaum mehr vorstellbar. Dabei werden die staatlichen Eingriffe zur Eindämmung der Virusausbreitung immer wieder diskutiert und kritisiert – nicht nur in Deutschland. Die zu Beginn der Pandemie noch vor allem auf den Erkenntnissen von Virolog*innen basierten Maßnahmen bekommen zunehmend Kritik von Soziolog*innen, Psycholog*innen, Ernährungs- und Menschenrechtsexpert*innen. Insbesondere die tägliche Mahlzeit, die Grundlage menschlichen Lebens, ist für viele Menschen auf der Welt während der Pandemie in Gefahr. Durch staatliche Maßnahmen verändert sich der Ernährungsalltag der Menschen beispielsweise in Südafrika und Syrien dramatisch. Mit dieser Problematik habe ich mich im Rahmen meiner Masterarbeit auseinandergesetzt und möchte meine Ergebnisse hier kurz vorstellen. 

Südafrika kämpfte schon vor der Pandemie mit einer Doppelbelastung. Auf der einen Seite hungerten viele Südafrikaner*innen, weil sie nicht genug zu Essen hatten. Auf der anderen Seite wiesen viele Menschen in der Bevölkerung einen Mikronährstoffmängel auf. Dies fanden mehrere Studien heraus, beispielsweise von Modjadji und Madiba (2019). Seit Beginn der COVID-19-Pandemie hat sich diese gesundheitsbeeinträchtigende Situation im Land weiter zugespitzt. Durch den harten Lockdown im Frühjahr 2020 und den damit verbundenen starken Einschränkungen des öffentlichen Lebens veränderte sich die Ernährungssituation für viele Familien. Arbeitslosigkeit und damit einhergehende große Einkommensverluste trieben viele Menschen im Land in Armut. Finanzielle Kürzungen führten zu Einschränkungen im Zugang zu Lebensmitteln. Eine angemessene Ernährungsweise ist dabei häufig gefährdet oder schlicht nicht umsetzbar, wenn gerade genug Geld zum Überleben vorhanden ist – oder überhaupt Geld zur Verfügung steht. Hunger ist in Südafrika seit dem Lockdown allgegenwärtig und trifft insbesondere die Menschen, die sich schon zuvor in einer prekären Lage befanden, meist Menschen mit geringem sozioökonomischem Status. Wie viele Hungertote mit der Pandemie in Verbindung stehen, ist noch nicht ausreichend erfasst. Es ist aber anzunehmen, dass es einige sein werden, da durch die Nebenwirkungen der Pandemie die Anzahl der Hungernden im Land steigen wird und das Sicherheitsnetz nicht alle auffangen kann.

Um dieser dramatischen Situation entgegenzuwirken, wurden Finanzhilfen und Nahrungsmittelpakete von der südafrikanischen Regierung und von Privatpersonen zur Verfügung gestellt. Diese Hilfen sind aber bei weitem nicht ausreichend. Korruption, Bandenkriminalität, die derzeitige Aussetzung der Landreform und eingeschränkte Öffnungszeiten von Lebensmittelmärkten verhindern die Gewährung des Menschenrechts auf Nahrung in Südafrika. Durch den Lockdown und den damit verbundenen Bewegungseinschränkungen konnten Landwirte zeitweise nicht mehr zu ihren Feldern. Die Primärproduktion von Nahrung wurde beeinträchtigt, was sich vermutlich in einer schlechteren Ernte auswirken wird.

Ein weiteres Beispiel finden wir in Syrien, wo die Menschenrechtslage oft erschreckend ist. Durch den schon seit Jahren anhaltenden, bewaffneten Konflikt und die damit in Verbindung stehende politische Instabilität ist die Ernährungslage im Land größtenteils sehr problematisch. Hinzu kommt die derzeitige Wirtschafts- und Währungskrise. Seit Beginn der Pandemie prägen Kriegshandlungen, dürftige Lebensmittelverteilungen, ein schwieriger Nahrungszugang und eine einkommensschwache Situation der Bevölkerung das Bild von Syrien. Steigende Arbeitslosenquote und Einkommensverluste sind Auswirkungen der Pandemie. Hinzu kommen gleichzeitig steigende Lebensmittelpreise, was die Ernährung der Bevölkerung dramatisch beeinflusst. Eine sich verschärfende Hungerkrise ist bereits in vollem Gange und chronische Nährstoffmangelerscheinungen sowie steigende Ernährungsunsicherheit bedrohen große Teile der Bevölkerung. Das zeigen die Ergebnisse der Interviews mit Expert*innen aus der Masterthesis. Denn mit einer Preiserhöhung der Lebensmittel bei gleichem oder geringerem Einkommen werden günstigere und ungesündere Lebensmittel bevorzugt verzehrt. Auch die Nahrungsverfügbarkeit wird durch die politische Instabilität derzeit erheblich eingeschränkt. Dies ist unter anderem auf geringe Auslandsinvestitionen in die syrische Wirtschaft, Einschränkungen im Warenimport und -export sowie teils katastrophalen Bedingungen zum lokalen Lebensmittelanbau zurückzuführen. Beispielsweise werden landwirtschaftlich genutzte Flächen zerbombt und damit Nahrung sowie Existenzen bewusst zerstört. Hilfsorganisationen versuchen mit Lebensmittelpaketen und -gutscheinen die Ernährungslage zu verbessern, bewirken aber hiermit keine langfristigen Veränderungen. Die Ergebnisse der Interviews verweisen darauf, dass das syrische Regime eindeutig Nahrung als Kriegswaffe missbraucht und damit das Menschenrecht auf Nahrung verletzt.

Bei all diesen schlechten Nachrichten muss verdeutlicht werden, dass in beiden Ländern Menschen leben, denen das Menschenrecht auf Nahrung ausreichend gewährt wird. Insbesondere Menschen mit genügend finanziellen Ressourcen haben die Möglichkeit, sich auch während der COVID-19-Pandemie angemessen zu ernähren. Ein Blick in die Zukunft der beiden Länder zeigt, dass sich nach derzeitigem Stand die Ernährungslage nicht verbessern wird. Mehr noch: Die Situation in Syrien wird sich dramatisch verschlechtern. Mehr Menschen werden aufgrund der direkten und indirekten Folgen der Pandemie hungern, Mangelerscheinungen aufweisen und sterben. Doch die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Würden sich die derzeitigen politischen Machtverhältnisse verändern und menschenrechtsfreundlichere Politiker*innen die Regierungsentscheidungen treffen, könnte dies zu einer Förderung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse führen und den Warenhandel sowie das Einkommen der Bevölkerung verbessern. Außerdem müssen die Kriegshandlungen im Land beendet, ein Gesundheitssystem für alle Bevölkerungsschichten aufgebaut und Nahrungsmittel für alle zugänglich gemacht werden. In Südafrika könnte die Reduzierung sozialer und gesundheitlicher Ungleichheit sowie die Weiterentwicklung des gesundheitlichen und finanziellen Schutzes der Menschen eine Verbesserung darstellen. Insgesamt ist es  wichtig, dass die derzeitigen Menschenrechtsverletzungen erkannt und reduziert werden.

Mehr Informationen zum Menschenrecht auf Nahrung allgemein sowie in Südafrika und Syrien:

Literaturquellen:

Modjadji, P., Madiba, S. (2019): The double burden of malnutrition in a rural health and demographic surveillance system site in South Africa: a study of primary schoolchildren and their mothers. BMC Public Health 19, 1087. verfügbar unter: https://doi.org/10.1186/s12889-019-7412-