Die EU Ratspräsidentschaft

Fancy Word – aber was genau steckt dahinter?  

Am 1. Juli hat Deutschland die EU Ratspräsidentschaft übernommen. Obwohl der Begriff “Ratspräsidentschaft” in den Nachrichten und mittlerweile auch auf Instagram und Facebook häufig verwendet wird, stellt sich die Frage, was bzw. wer sich hinter diesem Begriff verbirgt. 

Um mit einem gemeinsamen Grundverständnis in den Text zu starten, folgt zuerst eine Auffrischung der Basics. Die Europäische Union besteht aus:

  • dem Europäische Parlament. Es ist die Gesetzgebende Gewalt d.h. wählt, ernennt und entscheidet.
  • dem Europäischen Rat. Das sind Gipfeltreffen der Staats- und  Regierungschefs der Mitgliedstaaten. Sie entscheiden über allgemeine politische Ziele und Initiativen.
  • der Europäischen Kommission. Sie macht Vorschläge für Rechtsvorschriften, setzt politische Maßnahmen um und verwaltet die Mittel der EU.
  • dem Rat der Europäischen Union. Dort treten die nationalen Minister aller EU-Mitgliedsstaaten zusammen, verabschieden Rechtsvorschriften und koordinieren politische Strategien. 
  • ca. 11 weiteren Institutionen, wie z.B. dem Europäischen Gerichtshof.

Der Rat der Europäischen Union wurde 1958 als Rat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gegründete und hat seinen Sitz in Brüssel. Er besteht aus Minister*innen aus jedem EU Land, die für ihre Länder verbindliche Entscheidungen treffen dürfen. Gemeinsam mit dem Europäischen Parlament ist der Rat das Hauptbeschlussorgan der EU. Seine Aufgabe ist das Verhandeln und Erlassen von Rechtsakten.

Je nach politischem Bereich tritt der Rat in zehn verschiedenen Konstellationen zusammen, die aus den entsprechenden Minister*innen der Länder bestehen. Der Rat wird mit einem großen Tisch verglichen, an dem immer wieder andere Politiker*innen Platz nehmen. Zum Beispiel im Ecofin- Rat kommen Finanzminister*innnen zusammen, um über Wirtschaft und Finanzen zu beraten. Die Außenminister*innen hingegen bilden den “Rat für Auswärtige Angelegenheiten”.

Um einen Beschluss annehmen zu können, ist eine qualifizierte Mehrheit erforderlich. Das bedeutet: 

  • 55% der Länder müssen positiv abstimmen, um einen Beschluss annehmen zu können.  
  • Diese 55%  müssen mindestens 65% der EU Gesamtbevölkerung darstellen. 
  • Mindestens 4 Länder, die mindestens 35% der EU Gesamtbevölkerung stellen, sind nötig, um einen Beschluss zu verhindern. 
  • Ausnahmen sind Außenpolitik und Steuerthematik, hierfür wird Einstimmigkeit benötigt.

Soviel zu den Grundlagen – aber was genau ist nun die EU Ratspräsidentschaft? 

Der Vorsitz des Europäischn Rates wird alle 6 Monate abwechselnd von einem EU-Land übernommen. In einfachen Worten: Die Länder rotieren. Dieser Wechsel ist historisch bedingt. Vom 01.Juli bis 31.Dezember 2020 übernimmt Deutschland zum 13. Mal die Ratspräsidentschaft. Somit übernehmen die deutschen Minister*innen den Vorsitz in den verschiedenen spezifischen Teilbereichen. Zum Beispiel leitet Gesundheitsminister Spahn die Sitzungen der europäischen Gesundheitsminister. 

Die Ratspräsidentschaft hat eine vermittelnde Rolle, um Kompromisse und Lösungen mit den Mitgliedstaaten zu erarbeiten.

Unter normalen Umständen würde die EU Ratspräsidentschaft bedeuten, dass die informellen Konferenzen und Treffen in dem Land, welches die Ratspräsidentschaft vertritt, abgehalten werden. Bedingt durch die Pandemie wird aktuell ein Hauptteil als online Format abgehalten. Außerdem gibt das Land, das die Ratspräsidentschaft innehat, politische Schwerpunkte vor. Die Ziele Deutschlands mussten jedoch durch die Pandemie neu zusammengestellt werden. Unter der neuen Zielsetzung finden sich die Corona Pandemie mit ihren Folgen für Gesundheit, Wirtschaft und Gesellschaft. Weitere Ziele betreffen den Klimawandel, die Digitalisierung, Flucht und Migration sowie Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit.

Ein weiterer wichtiger Begriff ist die Triopräsidentschaft. Dies bezeichnet je drei aufeinanderfolgende Ratspräsidentschaften. Da Portugal den Vorsitz im Januar 2021 und Slowenien im Juli 2021 die Ratspräsidentschaft übernimmt, stellen Deutschland, Portugal und Slowenien vom 1. Juli 2020 bis zum 31. Dezember 2021 eine Triopräsidentschaft dar. Vor Beginn der deutschen Ratspräsidentschaft haben die drei Länder Schwerpunkte erarbeitet, welche den anderen Mitgliedstaaten als Programm in den 18 Monaten vorgeschlagen werden. Als eines der zentralen Ziele für diese Periode wurde am 06. Juli die “Trio Presidency Declaration on Gender Equlality” unterschrieben. In den aufeinanderfolgenden Präsidentschaften sollen unter anderem das EU-weite System zur Hilfe von Gewalt betroffener Frauen erweitert und das europäische “Gender Pay Gap” reduziert werden


Mehr zum Thema:
  • Sehr zu empfehlen: eine Zusammenfassung der Bundeszentrale für politische Bildung – hier
  • Triopräsidentschaftsziele: hier 
  • Auftakt deutsche Ratspräsidentschaft: hier
  • allgemeine Ziele: hier und hier

Im Laufe der Coronapandemie wurde deutlich, dass die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene essentiell für die Bekämpfung von Gesundheitsrisiken ist. Diese Zusammenarbeit mag anfangs nicht perfekt funktioniert haben, doch die neuesten Entwicklungen lassen hoffen, dass Werte wie Solidarität und Gemeinschaftlichkeit nun wieder in den Mittelpunkt rücken. Um Probleme zu lösen, müssen Strukturen verstanden werden. Wir danken der AG Europäische Integration daher sehr herzlich für ihren Gastbeitrag. Mehr zu ihrer Arbeit innerhalb der bvmd erfährt ihr hier!

Email: noei@bvmd.de

Alexandra Archodoulakis (Bundekoordinatorin für Europäische Integration 2019/20; EMSA Vice President of External Affairs)
Antonia Schulte (Bundeskoordinatorin für Europäische Integration 2019/20)