In Deutschland, ein Land, in dem es seit 75 Jahren keinen bewaffneten Konflikt mehr gab, ist ein hohes Maß an Stabilität und Sicherheit gegeben, beides essenzielle Voraussetzungen für ein funktionierendes Gesundheits- und Sozialsystem. Doch diese Gewissheit, ein funktionierendes System hinter sich zu haben, mit Krankenkassen und Sozialleistungen, hat ein großer Teil der Menschheit auch heutzutage noch nicht. Laut dem Uppsala Conflict Data Program (UCDP), ein Projekt der Uppsala University, das jährlich Statistiken zu bewaffneten Konflikten erarbeitet und veröffentlicht, gab es 2019 weltweite 54 bewaffnete Konflikte, der Großteil davon innerstaatlich. Dies ist die höchste Anzahl seit dem 2. Weltkrieg. (1)
Zwar sinkt die Zahl der direkten Todesopfer seit 2014, jedoch hat jeder Konflikt weitreichende Konsequenzen auf die sozialen Determinanten von Gesundheit und damit auf das Wohlergehen der ganzen Bevölkerung.
Schon die Global Burden of Disease Studie 1990 zeigte, dass nicht-tödliche Folgen von Krieg für 4,8 Millionen ‚Disability adjusted life years‘ (DALYs) verantwortlich sind.² Durch fortwährende Kämpfe und Angriffe wird die Infrastruktur zerstört und die Menschen aus Konfliktzonen verlieren häufig den Zugang zu jeglicher Gesundheitsversorgung. Auch die Bereitstellung von Nahrungsmitteln ist unter solchen Umständen meist nicht garantiert, wodurch das physische und psychische Wohlergehen beeinträchtigt wird, z.B. durch Vitaminmangel oder die konstante Sorge über die Versorgung der Familie.³ Doch neben solchen offensichtlichen Effekten eines Konfliktes auf die Gesundheit der Betroffenen – Nahrungsmittelunsicherheit, Verlust einer funktionierenden Infrastruktur, Zusammenbruch des Gesundheits- und Sozialsystems, Verlust von Eigentum und Arbeit und dadurch drohende Armut – gibt es auch Einschnitte in das Leben dieser Menschen die nicht sofort ersichtlich sind. Konflikte können soziale Strukturen und Gesellschaften zum Einsturz bringen, was besonders in Kulturen mit starkem gesellschaftlichem Zusammenhalt und Abhängigkeit weitreichende Folgen haben kann. So können Kinder in Konfliktgebieten meist nicht mehr zur Schule gehen und müssen Arbeiten oder werden sogar für Kämpfe rekrutiert³. Konflikte, die auf politischen Unruhen basieren schwächen meist auch das Rechtssystem, wodurch Gewalttaten nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden, was wiederum zu einer größeren Gewaltbereitschaft führt. In Kambodscha konnte z.B. auch eine erhöhte Zahl an häuslicher Gewalt während und nach innerstaatlichen Konflikten nachgewiesen werden (4).
Zu all diesen Herausforderungen kommt nun auch eine weltweite Pandemie dazu, COVID-19. Ohne Zugang zu sauberem Wasser, Sanitäranlagen oder einer Gesundheitseinrichtung erscheint es schier unmöglich einen Ausbruch zu verhindern oder einzudämmen. Hinzu kommt das durch die Konfliktsituation reduzierte Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung, weshalb Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung oft nicht suffizient durchgesetzt werden.
Ende März rief der UN-Generalsekretär Antonio Guterres zu einem weltweiten Waffenstillstand auf, um gemeinsam die COVID-19 Bedrohung bekämpfen zu können. Laut Angaben der UN haben sich Konfliktpartner in 11 Ländern nach diesem Aufruf auf Gespräche eingelassen und zumindest auf bestimmte Zeiten Waffenstillstände verhandelt. Doch in einigen Gebieten, z.B. in Kolumbien wurden die Kämpfe bereits wieder begonnen, da die Auswirkungen der Pandemie aus Sicht der Konfliktparteien als nicht gravierend herausgestellt haben. Weltweite Reisebeschränkungen erschweren zudem internationalen Organisationen wie der UN ihre Arbeit im Konfliktmanagement. Frieden lässt sich nun mal schwer über Zoom herstellen (6).
Selbst in entwickelten Regionen wie in der EU herrschen momentan in großen Teilen der Bevölkerung Unsicherheit und Angst über die weitere Entwicklung der Pandemie. Menschen die sich tagtäglich um ihr Leben aufgrund von Krieg und bewaffneten Angriffen fürchten, trifft diese zusätzliche Angst noch viel härter.
Mehr Infos:
Allgemeine Infos der UN zu COVID-19 hier
Inormationen der International Crisis Group zu Konflikten und COVID-19: hier
Interview zu COVID-19 und seinen Folgen auf internationale Konflikte