Mentale Gesundheit und Stigmatisierung

“Health is a state of complete physical, mental and social well-being and not merely the absence of disease or infirmity.” [1]

Das ist die offizielle Definition von Gesundheit der WHO, die wahrscheinlich die meisten von euch schon mal gehört haben und die wohl eher einer Idealvorstellung entspricht als der Lebensrealität der meisten Menschen. Aber es soll heute nicht um die Stärken und Schwächen dieser Definition gehen, sondern um den darin enthaltenen Aspekt der mentalen Gesundheit, der uns alle etwas angeht – egal ob wir im Gesundheitswesen arbeiten oder nicht. Und der ein zentraler und doch noch immer vernachlässigter Teil von Gesundheit darstellt, auch wenn das Thema in den vergangenen Jahren mehr Aufmerksamkeit erlangt hat.  

Laut dem World Mental Health Report der WHO lebten 2019 schätzungsweise 970 Millionen Menschen weltweit mit psychischen Erkrankungen [2].

Sehr viele dieser Menschen leben nicht nur mit ihrer Erkrankung, sondern auch mit der gesellschaftlichen Stigmatisierung, die noch immer damit einhergeht. Diese Erfahrungen sind prägend und können sich sowohl negativ auf den Verlauf der Erkrankung selbst als auch alle anderen Lebensbereiche auswirken. Mit dem Ausmaß und den Auswirkungen der Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen weltweit hat sich The Lancet Comission on ending stigma and discrimination in mental health befasst und kommt unter anderem zu folgendem Schluss: 

“It is time to end all forms of stigma and discrimination against people with mental health conditions. For most such people there is a double jeopardy: the impact of the primary condition itself and the severe consequences of stigma. Indeed, many people describe stigma as being worse than the condition itself.” [3]

Da Stigmatisierung ein komplexes Thema ist und multifaktoriell beeinflusst wird, ist es schwer greifbar und kann nicht vereinfacht dargestellt werden. Sie kann viele verschiedene Formen annehmen, wird aus ganz unterschiedlichen Teilen der Gesellschaft beeinflusst und hängt auch vom jeweiligen kulturellen Kontext ab. Daher unterscheiden sich Erfahrungen damit stark und auch Lösungsansätze lassen sich nicht verallgemeinern, sondern müssen für die jeweilige Gesellschaftsstruktur und Kultur vor Ort gedacht werden. Das bedeutet aber auch, dass wir alle darüber reflektieren können, wie wir in unserem ganz persönlichen Umfeld und der jeweiligen Gesellschaft, in der wir leben, einen Unterschied machen können. 

Zum Abschluss möchte ich noch das folgende Zitat einer Person mit Erfahrungen mit psychischer Erkrankung aus dem Artikel der oben erwähnten Lancet Comission mit euch teilen:

“Giving voice – who has the true voice: us.” Person in Spain     [3]

Deren Forschung hat nämlich auch gezeigt, dass Maßnahmen zur Reduktion von Stigmata dann am wirkungsvollsten sind, wenn Menschen mit psychischen Erkrankungen involviert sind. Deshalb: Wenn du selbst – wie ich – mit einer psychischen Erkrankung lebst, möchte ich dir sagen, dass deine Stimme zählt und wichtig ist. Trotzdem entscheidest immer du, wie viel du mit anderen Menschen teilen möchtest, womit du dich wohlfühlst und wofür du Kraft hast!

Aber an alle, ob ihr selbst betroffen seid oder nicht, vielleicht regt dieser Artikel ja zum Nachdenken an und dazu, unsere eigenen Vorurteile und unser Verhalten zu reflektieren. Wieso fällt es uns manchmal schwer, über unsere mentale Gesundheit zu reden, obwohl sie so eine zentrale Rolle spielt? Und wie können wir für Menschen einen Raum schaffen, in dem sie sich wohl fühlen, über ihre Erfahrung mit psychischen Erkrankungen zu reden? 

Lasst uns mehr auf die Menschen in unserem Umfeld achten, ein offenes Ohr für ihre Erfahrungen haben und einander zuhören! 

Hilfsangebote:

Wenn es dir nicht gut geht und du dir Hilfe holen möchtest oder es in deinem Umfeld eine betroffene Person gibt, die du dabei unterstützen möchtest, findest du hier ein paar Anlaufstellen. 

Therapieplatzsuche: Die Kassenärztliche Vereinigung bietet unter der Telefonnummer 116117 Hilfe bei der Therapiesuche in eurer Umgebung an, hier geht es in vielen Fällen deutlich schneller.

Psychosoziale Beratung: Viele Hochschulen und Universitäten bieten niedrigschwellig psychosoziale Unterstützung in allen Lebenslagen an. Auch auf der Website von Städten/Gemeinden sind häufig Kontakte von Stellen für psychosoziale Beratung in der Nähe zusammengefasst.


Quellen:

[1] https://www.who.int/about/governance/constitution

[2] https://www.who.int/teams/mental-health-and-substance-use/world-mental-health-report

[3] https://www.thelancet.com/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(22)01470-2/fulltext#seccestitle490