– ein Global Health Thema, wie es im Buche steht –
Wenn man auf amboss.com nach rheumatischen Herzklappenerkrankungen (RHD) sucht, findet man unter dem Unterpunkt „Mitralklappenstenose“ einen halben Satz, welcher den Begriff des rheumatischen Fiebers aufgreift. In dem kurzen Kapitel zum rheumatischen Fieber wird auf die Länder des globalen Südens verwiesen. Es braucht euch also nicht zu wundern, wenn ihr im Studium noch nicht viel über rheumatische Herzklappenerkrankungen gehört habt. Wieso solltet ihr aber?
- die Rheumatische Herzklappenerkrankung ist weltweit die häufigste erworbene Herzerkrankungen bei Menschen unter 25 Jahren
- 40 Millionen Menschen weltweit sind von der Erkrankung betroffen
- 10,5 Millionen DALYs
- 300 000 Menschen sterben jährlich an dieser Erkrankung (das sind 2% aller kardiovaskulären Todesfälle – die Nummer eins der Todesursachen weltweit aktuell)
- Die meisten Patienten mit RHD erreichen das 40. Lebensjahr nicht.
UND
- Die Krankheit ist vermeidbar!!!
AUßERDEM
- LMICs und marginalisierte Gemeinschaft sind unproportional stark betroffen – „Disease of Poverty“”
Quelle: WHF [1]
Das sind sicherlich bereits genügend Gründe, um diese Krankheit nicht außer Acht zu lassen – aber, lasst uns bei den Basics starten.
Ätiologie und Pathogenese
Die Ursache der rheumatischen Herzklappenerkrankung ist eine Infektion mit b-hämolysierenden Streptokokken der Gruppe A. Diese Infektion führt häufig zum sogenannten rheumatischen Fieber, einer systemischen Entzündung. Die Diagnostik erfolgt klinisch mit Hilfe der Jones Kriterien und kann laborchemisch durch den Nachweis von Antikörpern gegen Gruppe A Streptokokken nachgewiesen werden. [2] Eine zeitgerechte Therapie mit Antibiotikum verhindert meist Folgeschäden der Erkrankung.
Bleibt die antibiotische Therapie aus, bekämpft der Körper das Fieber zwar in den meisten Fällen erfolgreich, doch richten sich die im Körper gebildet Antikörper oft gegen körpereigene Strukturen auf den Herzklappen. Eine autoimmune Reaktion ist entstanden. Diese führt unbehandelt über den Lauf der Jahre zu einer Destruktion des Herzklappengewebes, was oft in einer Stenose oder Insuffizienz der Aorten- und/oder Mitralklappe endet. Eine hochgradige Klappendestruktion benötigt in den meisten Fällen ein herzchirurgisches Eingreifen. Ist diese Option nicht verfügbar entsteht eine Herzinsuffizienz, an der die Patienten oft in noch jungen Jahren versterben.
Sozioökonomische Faktoren
Nach dem zweiten Weltkrieg war die Prävalenz von RHD in Europa sehr hoch. Nun sind hauptsächlich LMICs betroffen. Sozioökonomische Determinanten wie schlechte Wohnverhältnisse, Unterernährung, Überbevölkerung und Armut sind bekannte Faktoren, die für RHD prädisponieren. Vor allem aber der Zugang zu Primärversorgung spielt eine ausschlaggebende Rolle. Bei Infektion mit Gruppe A Streptokokken kommt es für in der Regel zu Fieber, welchem hier zu Lande für gewöhnlich eine hausärztliche Vorstellung folgt. Auch Scharlach wird durch Gruppe A Streptokokken ausgelöst. Ein Antigen Schnelltest kann unkompliziert zu einer definitiven Diagnose einer Infektion führen. Es folgt eine Therapie mit Penicillin und Folgeschäden sind dadurch für gewöhnlich gebannt. Ist diese Primärversorgung nicht vorhanden, wird das Fieber oft „ausgesessen“ und die Spirale nimmt ihren Lauf.
Therapie
Ist man einmal an einer rheumatischen Herzklappenerkrankung erkrankt, gibt es keine Heilung per se. Sollten die Herzklappen hochgradig geschädigt sein, kann nur noch ein herzchirurgischer Klappenersatz bzw. in selteneren Fällen ein interventioneller Eingriff helfen. Der Zugang zu herzchirurgischer oder interventioneller kardiologischer Versorgung ist aber in den meisten Länder, wo RHD endemisch ist, nicht gegeben
Es gibt allerdings eine Sekundärprophylaxe. Vor Jahrzehnten hat sich die Therapie mit intramuskulär verabreichtem Penicillin G etabliert. Die kann die Wahrscheinlichkeit eines Rezidivs des rheumatischen Fiebers senken und somit den Progress der Erkrankung verlangsamen. Die Injektionen müssen einmal monatlich durchgeführt werden. Selbst hier gibt es viele Probleme, was den sicheren Zugang zu diesem Medikament angeht, obwohl Penicillin G (Benzathine Benzylpenicillin) auf der WHO Liste für essentielle Medikamente steht. [3]
Die Hoffnung auf eine nicht allzu weit in der Zukunft liegende Impfung gegen Gruppe A Streptokokken besteht. Die beste Form der Therapie bleibt aber aktuell die Prävention!
Herausforderungen und Fortschritt
In den letzten Jahren haben sich die Bemühungen, RHD weltweit zu beenden, wieder verstärkt. Die Zentren der Forschung liegen vor allem in den endemischen Ländern. In den letzten 10 Jahren wurden bedeutende Meilensteine erreicht.
- Im Jahr 2017 hat die Global Burden of Disease Studie auf die nach wie vor sehr hohen Prävalenzen und die relevante Krankheitslast in den größten Teilen der Welt aufmerksam gemacht [4]
- 2018 hat das World Health Assembly der WHO die Resolution WHA 71.14 verabschiedet [5] und stellt sich somit politisch hinter den globalen Plan „ End RHD“. An diesem Tag wurde RHD zum ersten Mal als Global Health Priorität auf einer Weltbühne angesehen.
- 2012 und 2023 wurden internationale Guidelines der World Heart Federation zur echokardiographischen Diagnose von RHD verabschiedet.
- Vor wenigen Wochen fand der erste World Congress on Rheumatic Heart Disease statt welcher Akteur*innen aus Forschung, Politik sowie NGOs und Kliniker*innen als auch Patient*innen zusammen brachte – GandHI hat berichtet
Trotz vieler Fortschritte stehen wir aktuell weiterhin vor einer Reihe an Herausforderungen:
- Der Zugang zur Primärversorgung muss weltweit besser werden! (Stichwort Universal Health Coverage)
- Der Zugang zu Medikamenten und chirurgischer Versorgung muss sichergestellt werden!
- Es braucht nationale Pläne der Gesundheitsministerien zum Umgang mit RHD in endemischen Ländern! Hier sollte vor allem den Patient*innen mehr Mitspracherecht gegeben werden.
- Die internationale Kooperation muss verbessert werden! Gerade HICs besitzen einen moralischen Imperativ diese Erkrankung in Ihren Global Health Plänen nicht außer Acht zu lassen.
- Daten zur Prävalenz sind nach wie vor wichtig – nicht nur in LMICs, sondern auch in HICs sollte mehr Augenmerk auf die Erkrankung gelegt werden! Es gibt Hinweise darauf, dass die Mortalität und Prävalenz in HICs wieder zunimmt. Nicht zuletzt aufgrund der Migration sind zeitgemäße Daten zur Prävalenz in HICs wichtig!
- Im Rahmen der Grundlagenforschung bestehen nach wie vor viele offene Fragen, was die Pathogenese der Erkrankung angeht! Die Impfforschung muss weiter vorangetrieben werden.
- Raise Awareness! Es bedarf einer Ausweitung des Bewusstseins für RHD, vor allem auf der Global Health Agenda für Noncommunicable Diseases (NCDs).
An den markierten Wörtern seht ihr – Rheumatische Herzklappenerkrankungen repräsentieren ein Global Health Thema, wie es im Buche steht. Das Thema vereint Aspekte von kardiologischer/herzchirurgischer klinischer Arbeit mit epidemiologischer Forschung, politischem Engagement und Grundlagenforschung. Es wird also höchste Zeit, dass das Interesse und das Bewusstsein für diese Erkrankung auch in HICs wieder wächst.
Wenn ihr selbst aktiv werden wollt, meldet euch bei uns unter dieser Email Adresse: martina.steinmaurer@gmail.com
Wenn ihr mehr zu dem Thema erfahren wollt, folgt den Links:
- World Heart Federation: https://world-heart-federation.org/what-we-do/rheumatic-heart-disease/
- Resolution WHA 71.14 https://apps.who.int/gb/ebwha/pdf_files/WHA71/A71_R14-en.pdf
- WHF 2023 Guidelines for the echocardiographic diagnosis of RHD: https://doi.org/10.1038/s41569-023-00940-9
- Global Burden of Disease Study – Results on RHD: [4]
- Sehr gute Übersichtsarbeit: [6]
Quellen:
[1] WHF RHD. 26.11.23]; Available from: https://world-heart-federation.org/what-we-do/rheumatic-heart-disease/.
[2] Amboss ARF.
[3] WHO List of Essential Medicines.
[4] Watkins, D.A., et al., Global, Regional, and National Burden of Rheumatic Heart Disease, 1990-2015. N Engl J Med, 2017. 377(8): p. 713-722.
[5] WHA 71.14
[6] Kumar, R.K., et al., Contemporary Diagnosis and Management of Rheumatic Heart Disease: Implications for Closing the Gap: A Scientific Statement From the American Heart Association. Circulation, 2020. 142(20): p. e337-e357.