Professorin an der Universität Münster mit Schwerpunkt Cognition and Gender sowie häusliche Gewalt, ehemalige Präsidentin des Weltärztinnenbundes
Auslandsaufenthalte: 5 Jahre USA und in vielen Ländern in der Rolle als Präsidentin des Weltärztinnenbundes
Wie würden Sie sich in drei Worten beschreiben?
Frau Pfleiderer: Leidenschaftlich, motivierend und real-optimistisch.
Was haben Sie sich als Student*in vorgestellt, was Sie später machen werden/ wie Sie später arbeiten werden?
Frau Pfleiderer: Ich habe Chemie studiert und später noch Medizin studiert; insofern kann ich das gar nicht so genau sagen. Wir müssen daher ein bisschen weiter ausholen: als ich mein Abitur gemacht habe, hatte ich diese drei Vorstellungen: entweder Musiklehrerin für gehörlose Kinder, Medizin oder Naturwissenschaften. Ich habe mich dann schließlich für Chemie entschieden.
Auf welchen (Um-)Wegen sind Sie zu ihrer jetzigen Position gekommen?
Frau Pfleiderer: Nach dem Chemiestudium habe ich promoviert und bin anschließend an die Harvard-Medical-School in Boston, USA, gegangen. Dort habe ich mich mit der Alterung von Silikonimplantaten beschäftigt und es kamen immer mehr Fragen auf, wie der Körper mit Silikon, das aus Silikonimplantaten in den menschlichen Körper gelangen kann, umgeht. Deshalb fing ich Medizin als Zweitstudium an, arbeitete aber gleichzeitig bereits als Wissenschaftlerin am Institut für klinische Radiologie des Universitätsklinikums Münster. Durch meine Dissertation in Medizin begann ich mich für das Thema Geschlecht zu interessieren- und neben der geschlechtssensiblen Medizin wurde schwere häusliche Gewalt einer der Schwerpunkte meiner Forschung.
2010 fand in Münster der Weltärztinnenkongress statt; während der Kongressorganisation wurde ich die Vorsitzende der Regionalgruppe Münster des deutschen Ärztinnenbundes und war federführend in die wissenschaftliche Organisation des Kongresses eingebunden. Als ich dann die vielen Vorträge aus aller Welt von den Ärzt*innen hörte, dachte ich: Globale Medizin- das ist es!
Dort merkte ich: Medizin muss global betrachtet werden, man muss als Netzwerk arbeiten und man braucht eine Stimme, die man hörbar machen muss- und das kann man nicht alleine! Und: globale Medizin steht immer in Zusammenhang mit Menschenrechten; ohne Menschenrechtsaktivistin zu sein, kann man nachhaltig nichts in den Ländern auf lange Sicht verändern!
2013 wurde ich gefragt, ob ich mir vorstellen könne, als Präsidentin für den Weltärztinnenbund zu kandidieren. Ich dachte: Frauen zweifeln zu oft, ob sie so etwas gut genug ausfüllen können- und trotz meiner eigenen inneren „Zweifel“- du musst das machen! Das war für mich eine großartige Möglichkeit, nicht nur über Dinge zu reden, sondern auch etwas zu bewirken.
Als Präsidentin des Weltärztinnenbundes (MWIA) von 2016-2019 bin ich gefühlt in der ganzen Welt gewesen, habe Krankenhäuser und Slums besucht, mit Gesundheitsminister*innen und vielen Kolleginnen gesprochen und bin sogar 2 mal nach New York gereist, um an der alljährlichen Commission of the Status of Women (CSW) derUN Women jedes Jahr im März als Delegierte des MWIA teilzunehmen und auch auf einer Veranstaltung zu sprechen.
Ich finde es ist motivierend, dass man durch die Arbeit die ich tue- noch immer bin ich im Exekutivkomitee der MWIA- doch einiges bewegen kann! Dabei hilft mir sicherlich, dass ich gut organisieren, begeistern, reden, Dinge anstoßen, improvisieren und koordinieren kann. Dazu braucht es Leidenschaft, für das, was man tut! Wenn ich etwas nicht gut finde, kann ich es nicht machen. Es treibt mich an, Ungerechtigkeiten anzugehen! Denn wenn ich etwas ungerecht finde, kann ich nicht so tun, als ob es richtig wäre.
Was schätzen Sie am meisten an Ihrer Arbeit? Worauf könnten Sie verzichten?
Ich schätze die Begegnung mit wunderbaren Frauen aus vielen verschiedenen Winkeln der Welt, die kompetent in so vielem sind und sich leidenschaftlich für Menschen in ihren Ländern einsetzen und die mir erlauben, mich in ihre Welt mitzunehmen. Wenn man nämlich erfolgreich etwas in globaler Gesundheitspolitik bewegen möchte, muss man eintauchen und sich einlassen können auf eine andere Kultur, um Dinge besser zu verstehen. Um genau das zu verhindern was zu oft passiert, dass man gutmeinend von außen kommt und meint, man wüsste alles besser und den anderen seine Ideen und Vorstellungen überstülpt. Für mich ist wichtig, dass man seine Komfortzone verlässt- und das geht nicht vom Schreibtisch aus. Man braucht auch die Begegnung mit anderen, muss vor Ort sein und mit anderen sprechen.
Worauf möchte ich nicht verzichten? Projekte am Leben zu erhalten, auch wenn es schlecht läuft und die Geduld dabei nicht zu verlieren. Verbesserung der Situation von Frauen- auch bezogen auf Gesundheit und Menschenrechtsarbeit- ist eine schwierige Arbeit in vielen Ländern! Es wird zu wenig als wichtig erachtet, Frauen und Müttergesundheit wird auch in vielen Ländern nicht gewürdigt, einfach das Frauen per se einen so geringen Status haben.
Worauf kann ich verzichten? Dass die Entscheidungen zu oft Männer fällen, aber die Frauen machen die ganze Arbeit. Und wenn man bei der globalen Gesundheit bleibt: Frauen übernehmen einen großen Teil der Arbeit, werden aber zu wenig repräsentiert.
Worauf ich auch verzichten könnte, ist, dass zu viele zu viel reden und zu wenig getan wird.
Welchen Stellenwert sollte Globale Gesundheit in der Ausbildung angehender Mediziner*innen einnehmen? Welche Bedeutung schreiben Sie dem Thema auch in Zukunft zu?
Frau Pfleiderer: Ich finde, Globale Gesundheit sollte für alle Medizinstudierende verpflichtend sein. Allein schon, um die Probleme zu verstehen, die es in Deutschland gibt. Wenn wir auf Flüchtlinge schauen, die nach Deutschland kommen, sehen wir, dass fast jeder Asylsuchende traumatisiert ist. Es gibt Spannungsfelder zwischen Familie, Tradition und den Versuch, in Deutschland Fuß zu fassen. Wir müssen versuchen die Menschen in ihrem kulturellen Kontext zu sehen, ihre Krankheiten und Familienstrukturen. Ärztinnen und Ärzte müssen dafür sensibilisiert und darauf aufmerksam gemacht werden.
Welche Herausforderungen mussten Sie sich in Ihrem beruflichen oder persönlichen Leben stellen? Wie haben sie diese überwunden?
Frau Pfleiderer: Ich musste mich immer wieder dem traditionellen Rollenbild der Frau entgegenstellen!
Als ich Chemie studierte sagte ein Professor zu uns: „Eine Frau im weißen Kittel sieht aus wie eine bessere Verkäuferin“ oder „Sie werden das sowieso nicht beenden.“
Es wurde immer wieder die Frage gestellt, ob ich kompetent sei. Ich war oft die Erste, vor allem, weil ich in einem männlichen dominierten Bereich, der Naturwissenschaft, angefangen habe.
Die Herausforderung ist, dass man sich nicht immer in Frage stellt, obwohl man häufig in Frage gestellt wird.
Meine Rolle ist leider immer noch zu oft die der Vorreiterin. Man braucht aber auch Vorbilder um zu zeigen: Es geht! Man muss ganz klar sagen: Frauen müssen immer noch viel besser sein, um die gleichen Chancen zu haben. Frauen werden immer noch mit unterschiedlichem Maß gemessen.
An welchen Vorbildern orientieren Sie sich?
Frau Pfleiderer: Für mich sind Vorbilder mutige, kompetente Frauen, die etwas verändern. Es sind für mich die vielen Frauen, die großartige Arbeit unter schwierigen Umständen leisten und trotzdem nicht aufgeben!
Welche Eigenschaft schätzen Sie an sich am meisten?
Frau Pfleiderer: Ich bin lernfähig, offen, tolerant und stur.
Wenn Sie zurückblicken, gibt es etwas, was Sie anders gemacht hätten?
Frau Pfleiderer: Aus meiner heutigen Sicht denke ich, dass ich zielstrebiger und strategischer hätte sein sollen. Ich glaube, ein bisschen mehr Strategie täte uns Frauen gut, dann würden wir noch mehr erreichen.
Außerdem bin erst sehr spät auf die sozialen Medien eingestiegen. Ich habe gemerkt, dass man die größte Reichweite hat, wenn man die sozialen Medien nutzt und aktiv ist.
Wenn man Ihnen ein bezahltes freies Jahr schenken würde, was würden Sie tun?
Frau Pfleiderer: Ich würde auf jeden Fall ein Buch über globale Gesundheit schreiben! Dafür würde ich in andere Länder reisen und Interviews führen und über Begegnungen, Gespräche und Visionen schreiben.
Vielleicht würde ich gerne nochmal in ein anderes Land gehen und dort an einem Projekt längerfristig mitarbeiten. Und mehr kreative Sachen im Bereich Social-Media ausprobieren. Ich würde die Freiheit nutzen, um meine Komfortzone verlassen und mich weiterentwickeln!
Welche Ratschläge haben Sie für Studierende, die sich in diesem Bereich engagieren möchten?
Frau Pfleiderer: Das Wichtigste ist, sich auf ehrenamtlicher Ebene zu engagieren, sei es zum Beispiel bei Women in Global Health, UN-Women, Amnesty International oder Ärzte ohne Grenzen. Aber es gibt noch viel mehr Möglichkeiten.
Wenn man später wirklich beruflich auf dem Gebiet tätig sein möchte, sollte man herausfinden, welche Fakultäten Aufbaustudiengänge oder Spezialisierungen anbieten. Wichtig ist, sich eine fundierte Basis zu erschaffen. Beispielsweise kann man auch seine Doktorarbeit in diesem Bereich schreiben oder ein PJ-Tertial im Ausland machen, um besser zu verstehen, was Global Health eigentlich bedeutet. Wenn man Interesse an globaler Gesundheit hat, dann kann man das nicht – wie bereits vorher gesagt- vom Schreibtisch aus machen! Um etwas zu bewirken, muss man vor Ort sein und die dort bestehenden lokalen Netzwerke stärken. Und nur wenn man den Menschen dort mit Respekt, Hochachtung und auf Augenhöhe begegnet, kann man nachhaltig was bewirken!