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DR. MED. PETER TINNEMANN MPH

Leiter des Projektbereichs Globale Gesundheitswissenschaften der Charité-Universitätsmedizin Berlin, Ärztlicher Referent an der Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf.

Auslandsaufenthalte: Philippinen, Haiti, Süd-Sudan, Republik Kongo, Somalia, Uganda, Sierra Leone, Chad, Eritrea.

BVMD: Können Sie uns mehr über Ihre Arbeit erzählen?

Dr. Tinnemann: Ich habe zwei unterschiedliche Standbeine: Ich arbeite als Leiter des Projektbereichs Globale Gesundheitswissenschaften an der Charité-Universitätsmedizin Berlin und in der Akademie für öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf.  

An der Charité bin ich überwiegend in der Forschung und Lehre tätig. Meine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der vernachlässigten und armut-assoziierten Tropenkrankheiten, den sogenannten neglected tropical diseases, und der klassischen Sozialmedizin, aber ich beschäftige mich auch mit Impactforschung im Bereich humanitärer Medizin oder sozialen Netzwerkanalysen. In den letzten Jahren habe ich mich besonders mit Fragen zu geistigen Eigentumsrechten/Patenten auseinandergesetzt, die für viele Menschen den Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten verhindern. Daraus entstand eine wichtige Kooperation mit der studentischen Organisation UAEM (Universities Allied for Essential medicines), die sich für den weltweiten Zugang von Medikamenten und die Forschung vernachlässigter Tropenkrankheiten engagiert.

Die Akademie für öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf bietet Weiterbildungen für unterschiedliche Berufsgruppen (ÄrztInnen, ApothekerInnen, ZahnärztInnen, sozialmedizinische AssistentInnen…) und Ausbildungen (HygienekontrolleurInnen, LebensmittelkontrolleurInnen..) in verschiedenen Bereichen der öffentlichen Gesundheit an. Sie qualifiziert durch Fortbildungen Berufsgruppen spezifisch oder z.B. wenn neue Gesetze in Kraft treten und Mitarbeiter dazu besonders geschult werden müssen. Ich bin sowohl in der inhaltlichen Gestaltung der Seminare als auch aktiv in der Lehre beteiligt.

 

BVMD: Das klingt sehr spannend, wie sieht denn ein normaler Arbeitstag bei Ihnen aus?

Dr. Tinnemann: Ich arbeite schon seit längerem nicht mehr in einem klassischen Klinikalltag. Ich verbringe wohl die meiste Zeit damit Emails zu beantworten, an Meetings oder Telekonferenzen teilzunehmen, zu unterrichten aber auch Fachartikel zu lesen und zu schreiben. Ich bin innerhalb Deutschlands viel unterwegs, manchmal international, pendle zwischen Düsseldorf und Berlin und animiere regelmäßig Workshops in anderen deutschen Städten.

 

BVMD: Wie kamen sie von der Klinik zu ihrem aktuellen Beruf?

Dr. Tinnemann: Durch meine Auslandsaufenthalte lernte ich anderthalb Jahre nach meinem Staatsexamen die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ kennen, die damals in Deutschland nur aus einer Hand voll Mitarbeitenden bestand. Ich hatte bereits einen obligatorischen 3-monatigen Kurs in Tropenmedizin absolviert und entschied mich, mit MSF meine erste Mission in Somalia zu machen.  Ich habe insgesamt sechs Jahre für „Ärzte ohne Grenzen“ gearbeitet. Ich war zuerst klinisch tätig und nach und nach übernahm ich mehr Managementaufgaben zum Beispiel als Projekt Manager und Einsatzleiter. Irgendwann hatte ich genug von der Arbeit in der Humanitären Hilfe und ich entschloss mich, meine Facharztausbildung zum Consultant in Public Health in England zu beginnen. Diese Zeit war sehr spannend und lehrreich, auch weil dort ein Teil der theoretischen Facharztausbildung ein Studium zum Master in Public Health war – das ist genau das was ich jetzt an der Akademie mitunterrichte. Nach über drei Jahren leben und arbeiten in London kehrte ich nach Berlin zurück, wo ich seitdem weiterhin im Bereich Öffentlichen Gesundheit forsche und arbeite. Für mich ist Globale Gesundheit die Betrachtung von allen unterschiedlichen Bereichen der Öffentlichen Gesundheit im weltweiten Kontext.

 

BVMD: Was gefällt Ihnen am meisten und wenigsten an Ihrer Arbeit? 

Dr. Tinnemann: Global Health umfasst zahlreiche Gebiete. Die Möglichkeit sich immer wieder mit diversen Themen in unterschiedlicher Tiefe und Breite auseinandersetzen zu können, finde ich sehr spannend. Anfangs kann es einem überwältigend vorkommen, aber mit der Zeit findet man seine Nische, wo man sich einarbeiten kann. 

Weiterhin gefällt mir das Lehren sehr gut. Junge Menschen hinterfragen durch ihre gewisse „Naivität“ viele Konzepte, sodass man die eigenen Vorstellungen und Ansichten immer wieder in Frage stellt.

Mit der Zeit sieht man, wie sich Dinge über die Jahre verändern, was mir sehr viel Freude bereitet. Am Anfang einer Karriere ist man häufig sehr ungeduldig und frustriert, weil man auf sofortige Erfolge hofft. Als ich zum Beispiel vor Jahren bei „Ärzte ohne Grenzen“ anfing zu arbeiten, hat sich keiner für vernachlässigte Tropenkrankheiten interessiert. Politiker denen ich das wichtige Thema näherbringen wollte, haben immer nur abgewunken mit der Antwort das man damit in Deutschland keine Wähler gewinnen könnte. Bis plötzlich Angela Merkel auf dem G7 Gipfel 2015 vernachlässigte Tropenkrankheiten zu einer Priorität machte. 

Global Health gewinnt mehr und mehr an öffentliche Aufmerksamkeit, was ich sehr begrüße. Aber leider behandeln viele das Thema wie eine Religion, sie haben eine Meinung und Überzeugung zu Global Health, ohne sich mit dem Thema in der Tiefe beschäftigt, ein Buch oder Fachartikel dazu studiert zu haben.

 

BVMD: Wie schaffen Sie es Ihre klinische Tätigkeit mit Ihrem Engagement zu vereinbaren?   

Dr. Tinnemann: Leider lässt sich meine derzeitige Arbeit in Forschung und Lehre nicht mit einer klinischen Tätigkeit vereinbaren. In Deutschland muss man sich noch entscheiden, welchen Karriereweg man einschlagen möchte. Das ist in anderen Ländern, wie z.B. England anders. Dort kenne ich Kollegen, die zwei Tage in der Woche in einer Allgemeinarztpraxis arbeiten, einen Tag an der Universität unterrichten und einen Tag in der Gesundheitsverwaltung arbeiten. So hätte ich es mir auch gewünscht.

 

BVMD: Wann hatten Sie zum ersten Mal Kontakt mit humanitärer Hilfe?

Dr. Tinnemann: Bereits im Studium hat mich das Ausland angezogen. Meine ersten Erfahrungen in einem Entwicklungsland sammelte ich während einer Famulatur in den Philippinen. Danach arbeitete ich 12 Monate als Arzt im Praktikum, damals noch Pflicht nach dem Praktischen Jahr, in einem Kinderkrankenhaus in Haiti. Ich betreute viele HIV-positive Kinder. Die wenigsten erhielten eine adäquate medikamentöse Therapie, was mich sehr erschütterte. Ich lernte dort die Hilfsorganisation „unsere kleinen Schwestern und Brüder“ kennen, die verlassene und verwaiste Kinder mit Unterkunft und medizinischer Betreuung versorgt.  So baute ich nach und nach ein Netzwerk an gleichgesinnten Menschen auf. 

Ich machte eine ähnliche frustrierende Erfahrung als ich mit „Ärzte Ohne Grenzen“ im Süd-Sudan arbeitete, wo ich aufgrund fehlenden Zugangs zu lebenswichtigen Medikamenten meine Patienten mit Schlafkrankheit nicht behandeln konnte. Man muss sich vorstellen, dass wir damals die letzten Ampullen von Medikamenten benutzten. Keiner wollte die Medikamente mehr herstellen, weil die Menschen, für die diese Medikamente lebenswichtig waren, kein Geld dafür bezahlen konnten.

 

 BVMD: Wenn Sie auf Ihren bisherigen Karriereweg zurückblicken, gibt es etwas was Sie anders gemacht hätten?

Dr. Tinnemann: Ich wäre gerne länger bei „Ärzte ohne Grenzen“ geblieben. Damit gingen jedoch viele Nachteile einher. Damals wurde zum Beispiel nicht in die Rentenversicherung eingezahlt und es war schwierig die Arbeit mit einer Familie zu vereinbaren.

Weiterhin habe ich erst nach über 15 Jahren Arbeitserfahrung als Arzt meine Weiterbildung in Public Health in England und Deutschland absolviert, wo ich sehr nützliche neue Fertigkeiten erlernte. Ich wünschte ich hätte meine formelle Facharztweiterbildung schneller vorangetrieben und vor allem früher von der Möglichkeit einen Facharzt im Bereich Öffentliche Gesundheit zu absolvieren erfahren. 

 

BVMD: Welche Ratschläge haben Sie an MedizinstudentInnen, die sich in diesem Bereich engagieren möchten?

Dr. Tinnemann: Heutzutage sind viele junge Menschen sehr gut ausgebildet und mit den unterschiedlichsten akademischen Ausbildungen gewappnet. Die wenigsten wissen jedoch, was sie damit anfangen können oder sollen, weil ihnen berufliche Erfahrung fehlt. Ich denke junge Menschen sollten erst konkret in einem Gebiet Erfahrungen sammeln, sich engagieren und dabei herausfinden, was sie wirklich interessiert. Erst im Verlauf macht es Sinn sich weiterzubilden.

 

BVMD: Gibt es eine Art Dachverband oder eine Vernetzung zwischen und für ÄrztInnen, die sich im Bereich Global Health engagiert? 

Dr. Tinnemann: In Deutschland haben wir die Global Health Alliance mit Lehrenden und Studierenden gegründet und versuchen damit das Thema Global Health an den medizinischen Fakultäten zu stärken. Eine deutsche Gesellschaft für Global Health gibt es noch nicht – vielleicht sollten wir sie gründen? In Berlin haben wir ein interdisziplinäres Netzwerk für Global Health Verrückte gegründet – da treffen sich unterschiedlichste Berufsgruppen auf unterschiedlichen Erfahrungsebenen und mit völlig unterschiedlichen Lebenswegen.


Lebenslauf:

2018-05 CV_Peter Tinnemann_ohne Publikationen

 



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DR. MED. ROBERT WUNDERLICH M.SC. DM

Assistenzarzt für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Universitätskrankenhaus Tübingen und Gründer der NGO “Schenke eine Ziege”

Auslandsaufenthalte: Benin, Äthiopien, Uganda, Ruanda, Tansania

BVMD: Können Sie uns mehr über Ihre Arbeit und Ihr ehrenamtliches Engagement erzählen?

 

Dr. Wunderlich: Aktuell bin ich im 6. Jahr meiner Ausbildung zum Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin an der Universität Tübingen und arbeite auf der Intensivstation. Ich mache des Weiteren eine Weiterbildung zum Notfallmediziner, im Rahmen derer ich regelmäßig an Notarzteinsätzen beteiligt bin.

Neben meiner klinischen Tätigkeit bin ich in der Lehre tätig. Ich unterrichte Notfall- und Reanimationskurse und habe an der Entwicklung eines Wahlfachs in Katastrophenmedizin und humanitärer Hilfe viel mitgewirkt. Ich selber habe einen Masterstudiengang in Katastrophenmedizin an der Universität von Eastern Piemont in Italien und der Freien Universität Brüssel sowie eine Ausbildung in Reisemedizin absolviert. Das Wahlfach wird nun seit Februar 2018 an der Universität Tübingen angeboten und hat sehr viel Erfolg. 

 

Des Weiteren kümmere ich mich aus der Ferne um die Entwicklungsorganisation „Schenke eine Ziege“, die ich im Jahr 2006 in Uganda gegründet habe. Dazu gehört viel Öffentlichkeitsarbeit, die Beantragung von Entwicklungsgeldern, was mit einem großen bürokratischen Aufwand einhergeht.

 

BVMD: Waren Sie seit Absolvierung Ihres Masterabschlusses in Katastrophenmedizin schon einmal im Einsatz? Wie ist es mit Ihrer klinischen Tätigkeit vereinbar?

 

Dr. Wunderlich: Seit meinem Abschluss bin ich Teil des FAST (First Assistance Samaritan Team) beim ASB (Arbeiter-Samariter-Bund), welcher an weltweiten Katastropheneinsätzen beteiligt ist. Leider war ich bis jetzt noch nie mit dieser Organisation im Einsatz. Die ärztliche Leitung meines Arbeitsplatzes an der Universitätsklinik Tübingen sowie meine Kollegen sind sehr unterstützend, ohne diesen Umstand wäre es in der Tat nicht möglich, kurzfristig meinen Arbeitsplatz für einige Wochen zu verlassen. Es ist jedes Mal eine Teamentscheidung und je nach Zeitpunkt auch manchmal nicht möglich. 

 

BVMD: Sie sind Gründer der Organisation „Schenke eine Ziege“. Können Sie uns mehr über Ihre Organisation erzählen?

 

Dr. Wunderlich: Ursprünglich war die Idee in Kasese (West-Uganda) eine Ziegenfarm aufzubauen und einer Auswahl bedürftiger Familien nach dem Besuch einer Serie von Workshops über z. B. HIV-Prävention, Hygiene, Landwirtschaft, Viehzucht, Gleichstellung von Mann und Frau u. Ä. eine Ziege zu schenken. Erklärtes Ziel ist es, über die Ziegenmilch Proteinmangelerscheinungen bei Kindern vorzubeugen und die Möglichkeit, Einkommen durch den Verkauf von Milch oder den Aufbau einer Ziegenzucht zu generieren. 

Das Projekt hatte Erfolg; als Erstes kam ein Mikrokreditprogramm hinzu, gefolgt von einem Lernzentrum mit der Möglichkeit, den Grundschulabschluss nachzuholen, der Installation einer Solaranlage, eines eigenen Brunnens und zuletzt dem Bau eines Gesundheitszentrums mit 18 Betten, welches von einheimischen ÄrztInnen und PflegerInnen betrieben wird. 

Aktuell beschäftigt die Organisation 35 Einheimische und einige ehrenamtliche MitarbeiterInnen. 

 

BVMD: Das ist sehr beeindruckend. Wie kam es überhaupt dazu, dass Sie so jung die Organisation gründeten? 

 

Dr. Wunderlich: 2005 reiste ich nach dem Abitur mit einer Freundin nach Uganda, wir wollten die „Welt retten“. Wir arbeiteten als Ehrenamtliche in der Mbuye Farm School, unterrichteten Englisch und leiteten einen Gesundheitsclub. Die Schule war bereits gut entwickelt, sodass wir uns wenig nützlich fühlten. Der Schulleiter erzählte uns dann über sein Heimatdorf in Süd-West-Uganda, wo es weder eine Schule noch einen Zugang zu Gesundheitseinrichtungen gab.  Da war unser Interesse geweckt und wir reisten dorthin, setzten uns mit 20 Familien aus dem Dorf zusammen und versuchten, einen Einblick über ihre Bedürfnisse zu bekommen. 

 

BVMD: Wie erlernten Sie die Fähigkeiten eine solche Organisation zu gründen und zu leiten?

 

Dr. Wunderlich: Ich war vorher schon sehr in Jugendarbeit involviert, gründete einen Judoverein und organisierte größere Veranstaltungen mit. Den Rest habe ich on the spot gelernt! Wichtig ist, sich gut zu vernetzen Letztendlich hatten wir viel Unterstützung von Fachpersonen wie ArchitektInnen oder IngenieurInnen.

 

BVMD: Was waren die Schlüssel Ihres Erfolgs?

 

Dr. Wunderlich: Gute Frage.  Ich denke, es ist für jedes Projekt wichtig, die Zielgruppe in den Mittelpunkt zu stellen. Wir haben sehr eng mit der Bevölkerung gearbeitet und versucht, uns an ihren Bedürfnissen zu orientieren. 

Essentiell ist dann auch der Aufbau eines Netzwerks. Anfangs habe ich viel Unterstützung von Freunden und Familie bekommen, was sich dann nach und nach durch Öffentlichkeitsarbeit erweitert hat. Und um dieses Netzwerk an HelferInnen langfristig aufrecht zu erhalten, muss die Arbeit Spaß machen. Das ist mindestens genauso essentiell!

 

Bei Ihrem Projekt handelt es sich um eine lokale Initiative. Ist es nicht effektiver, auf politscher Ebene aktiv zu sein, um mehr Menschen zu erreichen?

 

Dr. Wunderlich: Unsere Arbeit ist auch politisch. Viele Studierende sind in der Organisation involviert und das Projekt hat verschiedene Ebenen, sowohl in der Landwirtschaft als auch im sozialen Bereich mit der Schule und dem Gesundheitszentrum. Wir waren in der lokalen Politik sehr eingebunden. Von unten nach oben sind die errungenen Fortschritte vielleicht nachhaltiger. Ich bin der Überzeugung, dass man beides braucht!

 

BVMD: Welche Herausforderungen mussten Sie sich in Ihrem beruflichen oder persönlichen Leben stellen? 

 

Dr. Wunderlich: Sehr viele unterschiedliche. Wenn andere in den Urlaub gehen, gehe ich nach Uganda. Auch für meine Freunde und meine Familie ist es nicht unbedingt immer einfach, wenn die Prioritäten von Zeit zu Zeit woanders als bei ihnen liegen. Und das alles neben einem Vollzeitjob zu machen ist auch eine körperliche Anstrengung. Bewältigen kann man das alles nur mit einem strikten Zeitmanagement, Zuspruch und Unterstützung und wenn man vor Ort von den Erfolgen zehren kann, die unsere Organisation erreicht hat. Das gibt einem die notwendige Kraft. 

 

BVMD: Was war Ihre Motivation und Inspiration, sich in diese Richtung zu engagieren?

 

Dr. Wunderlich: Das frage ich mich auch häufig. Warum mache ich das überhaupt? Es bedeutet viel Verantwortung und zusätzliche Arbeit, wo ich eigentlich ein entspanntes Leben führen könnte. Aber bedürftigen Menschen zu helfen und sehen, dass man tatsächlich etwas bewegen kann, das ist jede Mühe wert.

 

BVMD: Haben Sie noch andere Auslandserfahrungen gemacht?

 

Dr. Wunderlich: Seit 2006 war ich insgesamt 10 Mal in Uganda, absolvierte dort eine Famulatur und ein PJ-Tertial. Da blieb mir in der Tat nicht mehr viel Zeit, anderswo ins Ausland zu reisen. Dennoch war ich als Student mit Humedica, einer Hilfsorganisation, die bei Katastropheneinsätzen beteiligt ist, einmal in Benin und Äthiopien und habe dort vor Ort an Katastropheneinsätzen teilgenommen bzw. sie geleitet und eine Krankenstation auf der somalischen Grenze aufgebaut. Diese besteht bis heute und versorgt 150 000 Menschen.  

 

BVMD: Wenn man Ihnen ein bezahltes freies Jahr schenken würde, was würden Sie tun?

 

Dr. Wunderlich: Ich würde durch die Welt reisen fern von jeder Verantwortung und Verpflichtung. Ich habe in den letzten Jahren so viel Zeit in Ostafrika verbracht, dass es mich reizt, andere Länder und Kontinente zu entdecken. 

 

BVMD: Welche Ratschläge haben Sie an MedizinstudentInnen, die sich in diesem Bereich engagieren möchten?

 

Dr. Wunderlich: Das breite Angebot während des Studiums zu nutzen! Die BVMD sowie die IFMSA bieten viele Möglichkeiten, sich zu engagieren.  Es gibt auch weitere Organisationen, wo man bereits im Studium beitreten kann. Dies kann das Rote Kreuz, der ASB, Johanniter, Malteser oder auch kleinere wie Humedica oder Landsaid sein. Man sollte jedoch dabei darauf achten, ob sie internationale Standards erfüllen.

 

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DR. MED. NINA SCHMEDT AUF DER GÜNNE

Ärztin bei AnDOCken (ärztliche und soziale Praxis für Menschen ohne Papiere)

Auslandsaufenthalte: Chile, Ecuador, Spanien.

Können Sie uns mehr über Ihre Arbeit erzählen?

Ich arbeite als Allgemeinmedizinerin zusammen mit einer Gynäkologin und einer Soziarbeiterin sowie zwei medizinischen FachangestelltInnen bei AnDOCken, einer Praxis für Menschen ohne Papiere. Die Sprechstunde steht allen MigrantInnen aus Nicht-EU-Staaten offen, die ohne gültige Aufenthaltserlaubnis in Hamburg leben. Die Praxis wird ausschließlich von Spenden und Eigenmitteln der Diakonie Hamburg finanziert. Häufige Krankheitsbilder sind ähnlich wie in einer normalen Hausarztpraxis: arterieller Hypertonus, Diabetes mellitus, Rückenschmerzen und Infekte.  Was wir häufiger sehen, sind Menschen, die z. B. an Hepatitis B, HIV oder Tuberkulose erkrankt sind. Sollte eine besondere fachärztliche Abklärung notwendig sein, bemühen wir uns, diese über die Clearingstelle der Stadt Hamburg zu organisieren bzw. überweisen die PatientInnen an niedergelassene FachärztInnen aus unserem Netzwerk. Im Notfall erfolgt die Einweisung ins Krankenhaus. Formal kann das Krankenhaus über den Paragraphen (§25 SGBXII), nach dem jeder Mensch unabhängig von seinem Aufenthaltsstatus Anrecht auf eine notfallmäßige Behandlung hat, die Kosten für die Behandlung über das zuständige Sozialamt erstattet bekommen. Leider erleben wir immer wieder, dass in Krankenhäusern PatientInnen eine notfallmäßige Versorgung verweigert wird. 

Viel Zeit verbringe ich damit, für sogenannte „Problemfälle“ individuelle Lösungen zu suchen. Dies geschieht in enger Zusammenarbeit mit SozialberaterInnen und AnwältInnen. Es handelt sich meist um PatientInnen mit schwerwiegenden Erkrankungen (z. B. Tumorerkrankungen, fortgeschrittene HIV-Infektion). In solchen Fällen streben wir eine Duldung bzw. humanitären Abschiebstopp an, mit dem PatientInnen dann Anrecht auf eine gesetzliche Krankenversicherung haben.  

Neben der PatientInnenversorgung arbeite ich im Rahmen meiner Tätigkeit bei AnDOCken auch eng mit anderen karitativen Einrichtungen (Medinetz Hamburg)  zusammen. Wir versuchen, gemeinsam auf Missstände hinzuweisen, um z. B. im Gespräch mit der Gesundheits- und Sozialbehörde der Stadt Hamburg Lösungen zu erarbeiten. 

Was gefällt Ihnen am meisten und was am wenigsten an Ihrer Arbeit? 

Den täglichen Kontakt zu vielen unterschiedlichen Kulturen empfinde ich als sehr bereichernd. Die Mehrheit meiner PatientInnen stammt aus Afrika, davon ein Großteil aus Ghana. Weiterhin sind Südamerika, Südostasien und Osteuropa stark vertreten. Mit meinen Englisch- und Spanischkenntnissen komme ich meistens zurecht, ansonsten bringen die PatientInnen Bekannte mit, die übersetzen können. 

Die Atmosphäre im Team ist sehr familiär. Wir haben viel Gestaltungspielraum und es gibt kaum Hierarchien im Gegensatz zum Krankenhaus.

Die Möglichkeit, in begrenztem Umfang politische Debatten mit anzustoßen bzw. zu führen, gefällt mir. Auch wenn wir nur sehr kleine Erfolge erzielen, bietet sich hier die Möglichkeit, nicht sprach- und machtlos Unterversorgung hinzunehmen, sondern sich für unsere PatientInnen und ihre Rechte einzusetzen. 

Ein negativer Aspekt meiner Arbeit wäre u. A., dass es nicht immer gelingt die adäquate Therapie für jeden Einzelnen zu erhalten. Gewisse Therapien kann die Diakonie aufgrund der hohen Kosten nicht tragen, wie z. B. HIV- und Hepatitistherapien. In diesen Fällen müssen wir über AnwältInnen versuchen, eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten, mit der PatientInnen automatisch Anspruch auf eine gesetzliche Krankenversicherung haben. Trotz hohem Aufwand sind diese Bemühungen nicht immer erfolgreich. Die meisten der PatientInnen, die an einer HIV-Infektion oder Hepatitis B erkrankt sind, bleiben leider unbehandelt. 

Obwohl wir auch positive Erfahrungen mit KollegInnen aus Krankenhäusern machen, ist die Kommunikation schwierig und ich würde mir einen respektvolleren Umgang wünschen. Andererseits weiß ich auch, dass unser Patientenklientel aufgrund der beschriebenen Besonderheiten (Migrationshintergrund mit Sprachbarriere, fehlender Versicherungsschutz) alle Beteilgten vor Herausforderungen stellt.

Es wäre erfreulich, wenn mehr Gelder des Gesundheitsbudgets in die angemessene Versorgung von Menschen ohne Versicherungsschutz fließen würden anstatt in überflüssige Diagnostik. 

Aus rein persönlicher Perspektive würde ich mir eine Erweiterung unserer Sprechzeiten bei AnDOCken und eine tarifgerechte Bezahlung wünschen. 

Wie schaffen Sie es Ihre klinische Tätigkeit mit Ihrem Engagement zu vereinbaren?  

Aktuell habe ich das Glück, dass ich meine Tätigkeit bei AnDOCken als sinnvoll und interessant empfinde. In meinen ersten Ausbildungsjahren, war es zeitlich unmöglich, mich neben der Krankenhausarbeit zusätzlich zu engagieren. Mit zunehmender Berufserfahrung hielt ich dann 2009 mit einer Freundin zusammen in der Alimaus (Tagesstätte für Obdachlose und Bedürftige) eine medizinische Sprechstunde. 

Einmal im Jahr halte ich zudem ein kleines Seminar für Hamburger Medizinstudenten am UKE zu dem Thema „Versorgung von Menschen ohne Papiere in Notfallsituationen“. 

Welche Herausforderungen mussten Sie sich in Ihrem beruflichen oder persönlichen Leben stellen? Wie haben Sie diese überwunden? 

Lange war ich mir nicht sicher ob meine Berufswahl die richtige für mich ist. Besonders in den ersten Ausbildungsjahren fiel es mir nicht leicht, durchzuhalten. Ich hatte den Eindruck, durch das Studium unzureichend auf den Alltag und die Verantwortung im Krankenhaus vorbereitet worden zu sein, ich empfand die starren Hierarchien und das Miteinander im Krankenhaus als belastend. Am meisten hat es mir in solchen Momenten geholfen, mich mit befreundeten KollegInnen auszutauschen. 

Wann hatten Sie zum ersten Mal Kontakt mit Public-, Global Health oder humanitäre Hilfe?

Meine ersten Erfahrungen habe ich während eines Volontariats in Chile gesammelt. Damals war ich noch Medizinstudentin und habe mit einem Physiotherapeuten und einer Krankenschwester zusammen mehrere pflegebedürftige PatientInnen drei Monate ambulant betreut. 

2012 hatte ich die Möglichkeit, drei Monate lang in Ecuador bei einem niedergelassenen Allgemeinmediziner auf dem Land mitzuarbeiten. Ich bin für drei Monate von meinem damaligen Arbeitgeber freigestellt worden. Es war spannend, den Alltag des Kollegen zu erleben, der nur in sehr ausgewählten Fällen PatientInnen zu SpezialistInnen in die Hauptstadt überweisen konnte. Ich habe während des Aufenthaltes auch unterrichtet u. A. ein kleines Seminar zu wichtigen Gesundheitsthemen (Sexualkunde, Reanimation, Infektionskrankheiten) gehalten. Das war eine sehr spannende Erfahrung, die ich nicht missen möchte.  

 

Haben Sie Ratschläge an Medizinstudierende, die sich in diesem Bereich engagieren möchten?

Ich denke es ist wichtig sich immer wieder die Frage zu stellen, was einem an der aktuellen Situation gefällt und was man langfristig erreichen möchte. Mir hat es geholfen mit KollegInnen zu sprechen und auch mal laut zu „träumen“. So bin ich auf meinem Weg durch Zufall Menschen begegnet, die mir hilfreiche Tipps geben konnten und meinen Weg maßgeblich beeinflusst haben.  

Um eine ehrenamtliche Tätigkeit neben der Krankenhausarbeit auszuüben, bedarf es einer guten Work-Life-Balance und Zeitmanagements. 

 


Lebenslauf:

Dr. Schmedt a. d. Günne Lebenslauf 2018 Kurzversion

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PROF. DR. MED. STEFAN BÖSNER

Allgemeinarzt, Professor für Allgemeinmedizin an der Universität Marburg 

Auslandsaufenthalte: Uganda, Süd-Sudan, Nord-Sudan.

BVMD: Können Sie uns mehr über Ihre Arbeit erzählen?

Prof. Bösner: Ich arbeite als Allgemeinarzt in einer niedergelassenen Praxis und unterrichte und forsche an der Abteilung für Allgemeinmedizin der Universität Marburg. Es war mir sehr wichtig, meine klinische Tätigkeit nicht aufzuopfern. Ich halte die Pflichtveranstaltungen zur Allgemeinmedizin und unterrichte seit längerer Zeit ein einwöchiges Wahlpflichtfach zum Thema Global Health. 

 

BVMD: Was sind ihre Forschungsschwerpunkte?

Prof. Bösner: Ich habilitierte zum Thema klinische Entscheidungsfindung und entwickelte den Marburger Herz-Score, welcher das KHK Risiko von Brustschmerzpatienten evaluiert. Aktuell bin ich u.a. in ein Projekt zur Evaluation der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung involviert. Dazu kommt die Betreuung von Dissertationen zu verschiedenen Themen sowie auch Lehrforschung.

 

BVMD: Wann hatten Sie zum ersten Mal Kontakt mit humanitärer Hilfe?

Prof. Bösner: Meine erste Erfahrung sammelte ich während einer sechsmonatigen Famulatur in Uganda an einem kleinen Krankenhaus im Norden des Landes. Dort forschte ich auch teilweise für meine Doktorarbeit über das Burkitt-Lymphom. 

Die dort gesammelten guten Erfahrungen motivierten mich, mich weiter in diese Richtung zu spezialisieren. Für eine Weiterbildung in der Allgemeinmedizin entschied ich mich neben inhaltlichen auch aus strategischen Gründen: Ein Wiedereinstieg nach längeren Auslandsaufenthalten ist da einfacher als in hoch spezialisierten Fachrichtungen. Weiterhin kann man die Fertigkeiten, die man in Auslandseinsätzen erlernt, und zwar mit wenig Mitteln die richtige Diagnose zu stellen, super in einer allgemeinmedizinischen Praxis gebrauchen. 

 

BVMD: Können Sie uns mehr über ihren ersten Auslandseinsatz als Arzt erzählen?

Prof. Bösner: Nach meinem Medizinstudium absolvierte ich den Facharzt für Allgemeinmedizin und trat anschließend der NGO Medair bei. Mein erster Einsatz war im Südsudan, mitten im Krisengebiet. Ich war der einzige Arzt im Team und musste alles behandeln: Infektionskrankheiten, Kriegsverletzungen und vieles mehr. Auf das meiste war ich nicht gefasst, aber ich lernte zu improvisieren. Ich machte von der Anästhesie bis hin zu den kleineren chirurgischen Notfalleingriffen, alles selber. Teilweise orientierte ich mich dabei an Büchern wie zum Beispiel „Simple Surgery in Africa“, die ich zum Teil während der Operation neben mir aufgeschlagen hatte. Größere Verletzungen überwies ich nach Stabilisierung an das Zentrum für Kriegschirurgie des Roten Kreuzes.  Ich kann mich noch an ein Kind erinnern, dem eine Granate in den Händen explodiert war. Ich führte nur die Blutstillung durch und überwies das Kind per Flugzeug zum Roten Kreuz. 

Nach zwei Jahren wurde mir von Medair ein Kurs an der Liverpool School of Tropical Medicine finanziert. Danach reiste ich mit Medair nach Nordsudan, wo ich überwiegend als Leiter von Gesundheitsprogrammen und Projektgestalter eingesetzt wurde. 

Nach 7 Jahren kehrte ich nach Deutschland zurück. Ich wollte einen Master in Public Health im Fernstudium an der Universität London absolvieren und anschließend wieder zurück ins Ausland. Dazu kam es jedoch nicht, u.a. weil meine Frau und ich neben unseren beiden Töchtern, die im Sudan geboren sind, noch einmal Zwillinge bekamen. 

 

BVMD: Welche Herausforderungen mussten Sie sich in Ihrem beruflichen Leben stellen? 

Prof. Bösner: Die prekären Lebensbedingungen während den Einsätzen waren eine Herausforderung: wir hatten kein fließendes Wasser und mussten zum Teil bei 45°C arbeiten. Überraschenderweise war jedoch das Leben im internationalen Team fast die größere Herausforderung. Im Südsudan haben wir in 6 Wochen-Zyklen ohne Urlaubstage gearbeitet, als Team in einem ca. 100m2 großen Zeltlager gelebt und ab 19h war Ausgangssperre. Da kommt jeder mal an seine Grenzen.  Häufig waren kulturelle Unterschiede die Quelle des Konflikts.  Zum Beispiel tendieren wir Deutsche dazu Probleme direkt anzusprechen, was für unsere sudanesischen oder kenianischen KollegInnen ein sehr ungewohnter Kommunikationsstil war.

 

BVMD: Wie haben Sie es geschafft Familie mit Ihren Auslandsaufenthalten zu kombinieren?

Prof. Bösner: Bei Medair kam man sich als Paar bewerben, sodass meine Frau und ich gemeinsam ins Ausland reisten. Sie ist Erzieherin und lehrte überwiegend Englisch. Unsere ersten zwei Kinder kamen im Nordsudan auf die Welt. Die Älteste war drei Jahre alt als wir nach Deutschland zurückkehrten.

 

BVMD: Wie gelang ihnen der Wiedereinstieg in Deutschland?

Prof. Bösner: Es war nicht einfach nach 7 Jahren Auslandsarbeit wieder zurück in die klinische Tätigkeit überzugehen. Ich kann deswegen jedem nur empfehlen erstmal einen Facharzt zu machen, sodass man zumindest selbständig arbeiten kann. Im Nordsudan hatte ich sehr viel Verantwortung. Ich habe bis zu 100 Leute geleitet und mit dem Gesundheitsminister direkt verhandelt. Plötzlich muss man im eigenen Land von neu anfangen und die Arbeit übernehmen, die keiner machen möchte. Ich kehrte nach Marburg zurück und arbeitete für kurze Zeit in der Allgemeinarztpraxis von ehemaligen Kollegen und dann zwei Jahre in der Notfallmedizin, wo ich überwiegend nachts und an Wochenenden arbeitete. Gleichzeitig studierte ich im Fernstudium Public Health an der London School of Hygiene and Tropical Medicine. Der dort erworbene Master in Public Health hat mir, als es klar war, dass wir nicht mehr ins Ausland gehen, dann auch den Einstieg in meine aktuelle akademische Arbeit geebnet.

Ich musste mich auch emotional umstellen. Ich hatte initial Schwierigkeiten, die PatientInnen, die wegen einer Nichtigkeit zu mir kamen ernst zu nehmen. Der Unterschied zu den PatientInnen im Sudan war einfach immens.

Insgesamt würde ich sagen habe ich 6-7 Jahre gebraucht um mich wieder einzuleben. Das ist aber von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Wir haben Kollegen, denen der Wiedereinstieg sofort gelang. 7 Jahre im Ausland ist auch ein kritischer Zeitpunkt, nach dem man zumindest wieder einmal länger in seinem ursprünglichen Job arbeite sollte. Wir lernten auch Ärzte kennen, die im Ausland wie gefangen waren, weil sie keinen für sie geeigneten Arbeitsplatz mehr zu Hause fanden. Damals gab es noch keinen so großen Ärztemangel. 

 

BVMD: Wenn Sie auf Ihren bisherigen Karriereweg zurückblicken, gibt es etwas was Sie anders gemacht hätten?

Prof. Bösner: Ich hätte die Ausbildung in Tropenmedizin und den Master in Public Health zeitlich eher absolviert. Sonst bin ich mit meiner aktuellen Position sehr zufrieden insbesondere, aufgrund der bereits erwähnten Schwierigkeiten. Weiter im Ausland zu arbeiten wäre mit vier Kindern sehr schwierig geworden. Natürlich taucht immer wieder der Gedanke in mir auf, was ich mit der Zeit vergleichsweise im Ausland hätte machen können. Aber ich mag die Tätigkeit in der Allgemeinmedizin und die Verbindung aus Praxistätigkeit und den „Public Health“ Aspekten der Uni Arbeit.

 

BVMD: Wenn man Ihnen ein bezahltes freies Jahr schenken würde, was würden Sie tun?

Prof. Bösner: Ich würde in ein ‚Low income‘-Land reisen, am liebsten in ein arabisches Land, als Gastprofessor arbeiten und versuchen die medizinische Grundversorgung zu verbessern.

 

BVMD: Welche Ratschläge haben Sie an Medizinstudierende, die sich in diesem Bereich engagieren möchten?

Prof. Bösner: Ich denke zu weit im Voraus zu planen bringt nicht viel, ich glaube vielmehr an eine stufenweise Entscheidungsfindung. Bereits im Studium gibt es viele Möglichkeiten, sein Interesse über Famulaturen oder BVMD-Projekte auszutesten. Ich kann empfehlen bei Auslandsaufenthalten eher in ländliche Gebiete zu gehen, weil mittlerweile die Großstädte wie z.B. Nairobi sehr moderne Einrichtungen besitzen, die sich nicht sehr von der hiesigen Infrastruktur unterscheiden. Es ist ebenfalls wichtig sich zu vernetzen z. B. über die Gandhi Initiative.

 

BVMD: Welche Botschaft haben Sie an Medizinstudierende?

Prof. Bösner: Wir sollten alle für die Privilegien, die wir haben, dankbar sein, insbesondere wir Mediziner. Unser Beruf ist interessant, international, erlaubt uns weltweit zu arbeiten und wird gesellschaftlich sehr geschätzt. Sich dieser Privilegien bewusst zu werden, wäre der erste Schritt, die Verantwortung dafür zu übernehmen und sie zu teilen, der zweite.


Lebenslauf:

Lebenslauf_Stefan Bösner

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DR. MED. CHRISTOPH ZERM

Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe mit Weiterbildung in anthroposophischer Medizin, Fachexperte für weibliche Genitalverstümmlung 

Auslandsaufenthalte: Zahlreiche Reisen auf 4 Kontinenten, ca. 10 Kurzaufenthalte in Eritrea

BVMD: Können Sie uns mehr über Ihre Arbeit erzählen?

Dr. Zerm: Ich habe zwei Arbeitsschwerpunkte entwickelt: Seit über 4 Jahrzehnten bin ich als Frauenarzt tätig, wobei ich meinen Schwerpunkt auf anthroposophische Medizin lege und diese Kenntnisse lehrend weitergebe. Ferner befasse ich mich seit Mitte der 1990er Jahre mit internationaler Frauengesundheit insbesondere mit dem Thema Weibliche Genitalverstümmlung (Female Genital Mutilation – FGM).  

Nach rund 30 Jahren klinischer Tätigkeit, davon langjährig in leitender Stellung, arbeite ich seit 2002 in einer Praxis als Gynäkologe, seit 2005 biete ich darüber hinaus an verschiedenen Orten eine Sondersprechstunde für asylsuchende Frauen im Zusammenhang mit weiblicher Genitalverstümmlung und anderen Menschenrechtsverletzungen an. Neben meiner ärztlichen Tätigkeit gebe ich regelmäßig Studentenunterricht im Bereich der anthroposophischen Medizin und halte Fortbildungen zum Thema weibliche Genitalverstümmlung, wodurch ich viel unterwegs bin. Zuletzt reiste ich für Vortragsreisen zum Thema Anthroposophische Medizin nach Georgien, Japan, Taiwan und Thailand.

 

BVMD: Wie wurden Sie zum Female Genital Mutilation-Experten in Deutschland?   

Dr. Zerm: 1996 wurde ich Mitglied des Arbeitskreises „Frauengesundheit in der Entwicklungszusammenarbeit“ (FIDE e. V.) der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe.  Diese Arbeitsgemeinschaft widmet sich entsprechend ihrem Titel der internationalen Frauengesundheit.  Die weibliche Genitalverstümmlung ist selbstverständlich ein Teilgebiet hiervon. Damals gab es wenig eingehende Kenntnisse hierüber, sodass ich anfing zu dem Thema zu recherchieren. 2005 gründete sich das deutsche Netzwerk INTEGRA gegen weibliche Genitalverstümmlung, bei dem ich von Anfang an mitwirkte. Aktuell gibt es schätzungsweise 50.000 Frauen in Deutschland, die betroffen sind.  Dank unserer Arbeit wurde 2014 weibliche Genitalverstümmlung als Diagnose in den ICD-10 Katalog aufgenommen, 2007 erstellte ich, in Anlehnung an einen schweizer Vorschlag, eine Empfehlung zum Umgang mit Betroffenen, 2017  wurde ich von der WHO-Europa -anläßlich der Einführung eines neuen WHO-Handbuchs zum Management weiblicher Genitalverstümmlung- zu einem Experten-Treffen in Sheffield/England eingeladen. Ich arbeite in Deutschland mit vielen Organisationen wie Terre des Femmes, Stop Mutilation, Lessan Hamburg und vielen weiteren eng zusammen. 

Praktische Erfahrung in der Umsetzung erlangte ich in Eritrea, wo die Tradition weiblicher Genitalverstümmlung noch heute sehr verbreitet ist. Ich arbeitete eng mit dem Gesundheitsministerium, dem Bildungsministerium, der Frauen-Union und den Kliniken zusammen. Ein multimodaler Ansatz ist der Schlüssel zum Erfolg. Ohne aktive Mitwirkung der jeweiligen Regierung, lässt sich eine Veränderung bzw. Überwindung von FGM kaum erreichen. 

 

BVMD: Was war Ihre Motivation und Inspiration sich in diese Richtung zu engagieren?

Dr. Zerm: Schon als Kind hatte ich ein starkes Empfinden für Gerechtigkeit. Ich bin in Westberlin aufgewachsen und war bereits mit 12 Jahren politisch interessiert.  Während des Studiums lebte ich ein Jahr lang in Südamerika, wo mir erstmals bewusst wurde, dass es viele unterschiedliche Konzepte der Denk- und Handlungsweisen auf dieser Erde gibt und wie ungerecht die Ressourcen auf der Welt verteilt sind. Ganz natürlicherweise tauchte die Frage in mir auf: Was kann ich tun? 

Mein Wille, mich zu engagieren, konkretisierte sich stärker nach meiner Facharztausbildung. Durch das Beitreten in die Arbeitsgemeinschaft für „Frauengesundheit in der Entwicklungszusammenarbeit“ (FIDE), traf ich auf gleichgesinnte Menschen. 

 

BVMD: Was gefällt Ihnen am meisten und wenigsten an Ihrer Arbeit? 

Dr. Zerm: Ich war ein leidenschaftlicher Kliniker. Die schönste Belohnung für mich ist zu sehen, wie Patientinnen, die man über Jahre betreut hat, sich zu strahlenden, selbstbewussten Persönlichkeiten entwickeln und man möglicherweise einen kleinen Beitrag dazu geleistet hat. 

Aufgrund meines Spezialgebietes begegne ich häufiger Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen, was den Austausch sehr bereichernd macht. Überhaupt habe ich meine Arbeit immer mit großer Begeisterung verrichtet, was sich bis heute nicht verändert hat. Eigentlich müsste ich für alles, was ich tue, Vergnügungssteuer bezahlen… 

Zu den negativen Aspekten: Meine Arbeit hat mich immer sehr absorbiert, somit war ich für meine Familie wenig präsent. Damals ließ sich ein ausgewogenes Privatleben schlecht mit einer Chefarztstelle kombinieren. 

 

BVMD: Wie schaffen Sie es Ihre klinische Tätigkeit mit Ihrem Engagement zu vereinbaren?  Wo begegnet Ihnen Globale Gesundheit in Ihrem (Klinik-)Alltag? 

Dr. Zerm: Solange Sie in einem Beschäftigungsverhältnis stehen, hat die sorgfältige Erfüllung ihrer arbeitsvertraglichen Verpflichtungen oberste Priorität. Grundsätzlich steht für weitere Aktivitäten und Engagements „nur“ die Zeit außerhalb dieser Bindung zur Verfügung. Es hängt dann von Ihrer Überzeugungskraft, Ihrer Sozialkompetenz und ihrer moralischen Phantasie ab, ob sie ihre Kollegen bzw. Kolleginnen dahingehend begeistern können, auch als Team ein humanitäres Engagement zu initiieren und durchzutragen – alles hängt mit allem zusammen! Globale Gesundheit ist heutzutage direkt (für Migrantinnen) und indirekt immer stärker präsent. Ein Beispiel: Schon vor 30 Jahren gab es für einige Monate einen Engpass im Nachschub an Anti-D-Prophylaxe (in der Geburtshilfe). Der Grund: Es war eine zusätzliche Gabe??? für alle Rh-negativen, werdenden Mütter in der 28. SSW eingeführt worden. Durch die Absenkung des Rh-Inkompatibilitätsrisikos um Bruchteile von Prozentpunkten hatten wir uns in Mitteleuropa ein Luxusproblem geschaffen, während in den südlichen Ländern viele Frauen von einer ausreichenden Versorgung mit Anti-D nur träumen konnten (und heute noch können) und viele Babys einfach an Erythroblastose sterben.

 

BVMD: Wenn Sie auf Ihren bisherigen Karriereweg zurückblicken, gibt es etwas was Sie anders gemacht hätten?

Dr. Zerm: Rückblickend sehe ich, dass an entscheidenden Wegmarken meines Lebens das Schicksal für mich entschieden hat und nicht ich (bewusst). Ich wollte eigentlich Allgemeinmediziner werden, nahm jedoch mangels anderer Möglichkeiten eine Stelle auf der Gynäkologie an, weil auf der Inneren Medizin keine Stelle frei war. Es erwies sich als genau das Richtige für mich!

Unter den heutigen Bedingungen hätte ich mir möglicherweise mehr Zeit für meine Familie genommen. 

 

BVMD: Sie waren 13 Jahre lang Chefarzt am Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke. Was war für Sie wichtig beim Einstellen von AssistenzärztInnen? Wie haben Sie humanitäre Einsätze bewertet?

Dr. Zerm: Neben dem Willen zu fachlicher Qualifikation stellten für mich das  Engagement für die zu betreuenden Menschen und die besondere Motivation wichtige Kriterien dar.  Für mich sind humanitäre Einsätze (im In- und Ausland) Zeichen von Engagement und Vielseitigkeit, durch die man Improvisationsfähigkeit, Teamarbeit und Kreativität entwickeln kann. Das macht aus Ärzten sehr qualifizierte Mitarbeiter, die meist differenziert und hinterfragend, auch selbstkritisch sind und so das Team voranbringen. Ich habe dies als Chefarzt sehr positiv bewertet.

 

BVMD: Hätten Sie humanitäre Einsätze als Chefarzt erlaubt?

Dr. Zerm: Als Chefarzt hat man natürlich den Druck, mit einer oft knappen Besetzung die Klinik am Laufen zu halten. Deswegen sind Auslandsaufenthalte eher schwierig einzubauen. Aber nichts ist unmöglich. Mit Kreativität und Engagement hätte sich das wohl organisieren lassen. Wer Willen und Engagement zeigt und das Team mitreißen kann, dem stehen viele Türen offen. 

 

BVMD: Wenn man Ihnen ein bezahltes freies Jahr schenken würde, was würden Sie tun?

Dr. Zerm: Das ist eine sehr theoretische Frage. Wenn wir einmal von fortlaufenden Verpflichtungen, in die jeder mehr oder weniger eingebunden ist, absehen, wäre dies natürlich eine verlockende Möglichkeit, sich für eine längere Zeit in humanitäre Hilfe einzubringen, wo auch immer das sinnvoll und notwendig erscheint. Dabei sollte nie die sorgfältige, spezifische Vorbereitung zu kurz kommen und natürlich auch die Selbstprüfung, ob die eigenen Fähigkeiten und Erfahrungen für das ins Auge gefasste Projekt wirklich ergebnisorientiert geeignet sind.

 

BVMD: Welche Ratschläge haben Sie an MedizinstudentInnen, die sich in diesem Bereich engagieren möchten?

Dr. Zerm: Einzelinitiativen, Einzelkämpfer sind heutzutage keine wirklichen Ideale mehr, deswegen würde ich empfehlen, sich einer Gruppe oder Organisation anzuschließen. Mittlerweile gibt es für fast jedes Interessensgebiet eine Organisation. 

Um realistisch in Notlagen helfen zu können, bedarf es eines ausreichenden Wissens und auch einer zumindest anfänglichen eigenen Erfahrung, die durch vorbereitende Schulungen ergänzt werden sollte. Lernen auf Kosten von Menschen, die keine andere Wahl haben und sich nicht wehren können, sollte keine Option sein.


Lebenslauf:

Lebenslauf_ Dr Zerm

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DR. MED. JOOST BUTENOP

Fachberater für Asyl- und Migrationsgesundheit

Auslandsaufenthalte: Simbabwe, Sudan, Angola, Gambia, Tschad, Afghanistan, Pakistan, Indien, Nepal, Bangladesch, Myanmar, Kambodscha, Vietnam, Malaysia, Indonesien, Türkei, Irak, Haiti

BVMD: Können Sie uns mehr über Ihre Arbeit erzählen?

Dr. Butenop: Ich arbeite im öffentlichen Gesundheitsdienst der Regierung von Unterfranken als Fachberater für Asyl- und Migrationsgesundheit. Ein wesentlicher Teil meiner Arbeit umfasst die Beratung der Gesundheitsämter sowie anderen Institutionen der Regierung und Zivilgesellschaft. Ich verknüpfe die Behörden untereinander (v. a. Sozialämter, Jugendämter) und diese dann mit den AkteurInnen der Zivilgesellschaft (z.B. NGO, Kliniken, niedergelassene ÄrztInnen, Hochschulen). Meine Arbeit bewegt sich an der Schnittstelle zwischen dem präventiven und kurativen Bereich, was traditionell strikt getrennt ist. Dabei liegt mein besonderes Augenmerk auf allen vulnerablen Gruppen, wie Asylbewerbern mit mentalen Problemen, mit Behinderungen oder auf Menschen ohne Papiere. Und ich bekomme viele Vortragsanfragen zum Thema Flüchtlingsgesundheit. 

Ich erledige also viel bürokratische Arbeit, aber nicht nur! Ich bin häufig unterwegs, besuche Asylunterkünfte, um unter anderem Problemfälle zu lösen. Zuletzt gab es zum Beispiel das Problem, dass Flüchtlinge sich aufgrund von Kakerlaken nicht mehr in ihre Zimmer trauten. Da galt es schnell pragmatische Lösungen zu finden. 

Daneben habe ich hin und wieder nebenberufliche Tätigkeiten, z.B. als Berater für NGOs und als Gastdozent an einigen Hochschulen. 

 

BVMD: Gibt es Momente, wo Ihre persönliche Ansicht zum Thema Migrationspolitik nicht mit den Forderungen der Regierung von Unterfranken übereinstimmt? 

 

Dr. Butenop: Man steht kontinuierlich in einem Spannungsfeld zwischen der gesetzgebenden Landesregierung (aktuell die CSU), medizinischer Ethik und Menschenrechten. Aber genau das Navigieren innerhalb dieses Spannungsfeldes empfinde ich als extrem spannend und herausfordernd. Bezogen auf das Beispiel der Ankunfts- und Rückführungszentren hat jeder Mensch aus ethischer Sicht das Recht auf ein würdevolles Leben, egal welche Gründe ihn zur Flucht bewegten, ob ökonomischer Art oder aufgrund von Krieg. Dennoch müssen wir bei limitierten Ressourcen und den gegebenen Gesetzen Prioritäten setzen. 

Wenn ich anderer Meinung bin, dann versuche ich meinen Standpunkt mit Evidenzen zu belegen.  Entscheidungsträger lassen sich mit Zahlen und Fakten überzeugen. Leider fehlt es im Bereich der Flüchtlingsversorgung oft an Daten. Ich versuche über Hochschulpartnerschaften Doktorarbeits- oder Masterarbeitsthemen vorzuschlagen und umzusetzen, sodass Fakten entstehen, die ich benutzen kann, um fundierte Entscheidungen zu treffen. Bisher habe ich sieben Masterarbeiten begleitet. 

 

BVMD: Was gefällt Ihnen am meisten und wenigsten an Ihrer Arbeit? 

 

Dr. Butenop: Die Schnittstelle zwischen fachlichem Wissen, strategischer Planung und Politik empfinde ich als sehr spannend. Der Kontakt zu den unterschiedlichsten Interessensgruppen, sei es die Regierung, NGOs, die kassenärztliche Vereinigung, Ärztekammern, Krankenhäuser, niedergelassene ÄrztInnen oder AsylbewerberInnen, ermöglicht mir, die unterschiedlichen Perspektiven kennen zu lernen und zu verstehen.  

Des Weiteren ist durch mein nebenberufliches Engagement in Lehre und Forschung mein Alltag sehr vielfältig. 

Frustrierend an meiner Arbeit ist, dass sich die Dinge häufig über Jahre hinweg nur sehr langsam verändern; ich bin leider nicht der geduldigste Mensch.  

 

BVMD: Wie schaffen Sie es, Ihre klinische Tätigkeit mit Ihrem Engagement außerhalb der Klinik zu vereinbaren?  

 

Dr. Butenop: Ich war noch nie rein klinisch tätig. Nach Abschluss meines Medizinstudiums war ich für einen kurzen Forschungsaufenthalt zum Thema Lepra in Indien, anschließend für fast ein Jahr am Robert-Koch-Institut und habe zum Thema HIV/AIDS geforscht. Dann fing auch schon meine Zeit bei „Ärzte ohne Grenzen“ und im Bereich Public Health an. Ich habe mich früh dafür entschieden, meine Karriere im Bereich Public Health zu verbringen, ein Spagat zwischen Klinik und Public Health gelingt nach meiner Meinung auf Dauer nicht.  

 

BVMD: Können Sie uns mehr über Ihre Arbeit bei Arzte ohne Grenzen (MSF) erzählen?

 

Dr. Butenop: Ich arbeitete insgesamt fünf Jahre für „Ärzte ohne Grenzen“, zuerst als Arzt in der Grundversorgung in Afghanistan und dann als Projektkoordinator in Angola. Damit ist man ein Projekt- und Teamverantwortlicher und muss zum Beispiel Basisgesundheitsstationen oder Apotheken verwalten, Statistiken auswerten und analysieren,  Programme planen und implementieren, Budgets konzipieren und verwalten. Ein hohes Maß an sozialen Fertigkeiten, Anpassungsfähigkeit und interkultureller Kompetenz wird gefordert und spielt neben fachlichem Wissen eine ebenso wichtige Rolle. Man muss andere organisieren und koordinieren können, Teamkonflikte lösen und vor allem mit schwierigen Rahmenbedingungen klarkommen, sei es das Klima, die prekären Lebensumstände, sei es die fremde Kultur. 

Ein Projekt in Pakistan prägte mich besonders. Wir wollten dort ein neues Projekt in Mohammed Kheil nahe der afghanischen Grenze aufbauen, wofür wir von allen politischen Gruppierungen, von der Regierung bis hin zu den Milizen, das Einverständnis brauchten. Das war ein sehr langer Verhandlungsprozess, der mir „The Art of Drinking Green Tea“ näher brachte : Jedes Verhandlungstreffen begann mit einer Tasse grünen Tees. Und da Ärzte ohne Grenzen sehr strikte Prinzipien hat und auf wenig Kompromisse eingeht, kam es zu vielen Verhandlungssitzungen, die immer mit dem gleichen Teeritual begannen und sich so in die Länge zogen. Gleichzeitig wird aber so soziale Akzeptanz bei den VerhandlungspartnerInnen aufgebaut, was sich langfristig auszahlt. 

 

BVMD: Sie sind Gründer der Medbox; um was handelt es sich genau?

 

Dr. Butenop: Ich gründete die Medbox im Jahr 2012. Es handelt sich um eine Online-Bibliothek, die die Qualität  medizinischer Versorgung weltweit verbessern soll. Sie trägt Dokumente zusammen, die für den praktischen Alltag im Einsatz relevant sind, wie Lehrbücher, Richtlinien, Poster, Checklisten, klinische Guidelines. Alle Dokumente sind auch über eine App offline zugänglich. Primär soll es humanitären Helfern und Entwicklungshelferinnen in ihrer Tätigkeit durch einen einfachen Zugang zu relevanter, aktueller Literatur helfen. Es wird von internationalen Organisationen und wissenschaftlichen Institutionen unterstützt, die in der humanitären Hilfe oder Entwicklungszusammenarbeit tätig sind und ist unter www.medbox.org leicht zu finden.

 

BVMD: Welchen Herausforderungen mussten Sie sich in Ihrem beruflichen oder persönlichen Leben stellen? 

 

Dr. Butenop: Am Anfang meiner Karriere war es eine Herausforderung, den Entschluss zu fassen, mich komplett von der klinischen Tätigkeit abzuwenden. Irgendwann gibt es nämlich kein Zurück mehr. So schien es damals. 

Persönlich hatte ich das Glück, dass meine Frau in der Entwicklungszusammenarbeit tätig war, sodass sie viel Verständnis zeigte. Einige Auslandsaufenthalte konnten wir zusammen bestreiten. Natürlich blieb es eine Herausforderung, Auslandseinsätze mit einer Familie zu kombinieren. Im Rahmen meiner Arbeit am Missionsärztlichen Institut in Würzburg ging das trotzdem ganz gut. 

Denn: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg!

 

BVMD: Was war Ihre Motivation und Inspiration, sich in diese Richtung zu engagieren?

 

Dr. Butenop: Meine Motivation für das Medizinstudium entdeckte ich mit Albert Schweitzer. Zur gleichen Zeit gab es in den 80/90er Jahren große Flüchtlingsbewegungen in Äthiopien und Rwanda, was mich noch mehr sensibilisierte und motivierte. Von Anfang an war also der Wille da, humanitäre Hilfe zu leisten. Im Studium war ich beim Vorläufer der BVMD (Deutscher Famulantenaustausch) und der IFMSA engagiert und reiste mehrfach ins Ausland. 1994 absolvierte ich eine Famulatur in Zimbabwe, 1995 nahm ich an einen IFMSA-Projekt in Ghana teil und 2000 an einem IFMSA-Projekt im Sudan, wo ich am Aufbau essentieller Infrastruktur und an der Lehre von hygienischem und medizinischem Grundwissen mitwirkte. 

Ich merkte, wie sehr mir Management, strategische Entwicklung und vor allem interdisziplinäre Teamarbeit Spaß macht. Ich wollte mit meiner Tätigkeit den größtmöglichen Impakt haben, was aus meiner Sicht mit Individualmedizin nicht zu erreichen war. 

 

BVMD: Wenn Sie auf Ihren bisherigen Karriereweg zurückblicken, gibt es etwas, was Sie anders gemacht hätten?

 

Dr. Butenop: Für mich geht es nicht darum, ein gewisses Ziel zu erreichen, sondern der Weg dahin ist das Ziel. Somit gibt es keine Rückschritte, alles trägt zum Karriereweg bei, der im Nachhinein zwar geradlinig aussieht, sich aber eher zufällig ergeben hat, als dass ich ihn systematisch geplant hätte. 

Ich wäre gerne bei Arzte ohne Grenzen geblieben, aber ich musste meinen Ehrgeiz zwischen Beruf und Familie aufteilen. Ich hätte auch bei einigen Organisationen in Genf arbeiten können, aber ich entschied mich bewusst gegen diese Option. Zum Einen habe ich eine Familie, um die ich mich kümmern möchte, zum Anderen gefällt mir das „operative Geschäft“, also meine Hände „schmutzig zu halten“ und aktiv am Geschehen zu bleiben.

 

BVMD: Wenn man Ihnen ein bezahltes freies Jahr schenken würde, was würden Sie tun?

 

Dr. Butenop: Ich würde nach Nordamerika reisen und ein Jahr in der Wildnis leben fern von jeglicher Zivilisation, das sog. „year long“. Es gibt dort die Möglichkeit, mit einem nordamerikanischen, indigenen Trainer und einer Gruppe von Gleichgesinnten selbstständig zu leben. Eine solche Erfahrung verbindet einen zur Natur, zu sich selbst und zu anderen.

 

BVMD: Welche Ratschläge haben Sie an Medizinstudierende, die sich in diesem Bereich engagieren möchten?

 

Dr. Butenop: Ich denke, dass man 2-3 Jahre Klinikerfahrung sammeln sollte, bevor man sich außerklinisch engagiert. Zum Einen ist es die Mindestanforderung für fast alle ausgeschriebenen Stellen in der humanitären Hilfe. Zum Anderen trägt etwas klinische Berufserfahrung zur sozialen Anerkennung bei und man kann in der Zeit über kürzere humanitäre Einsätze, wie zum Beispiel mit German Doctors, erfahren, ob es einem wirklich liegt.  

Alle Studierenden sollten die Frage für sich beantworten: Wo möchte ich in 10 Jahren sein? Das hilft herauszufinden, was man wirklich möchte und wie stark die innere Unruhe ist. Soll es klinisch weiter gehen oder kann man sich vorstellen, in Public Health zu arbeiten? 

Nach etwas Berufserfahrung kann ich ein Masterstudium empfehlen, wenn man weiß, in welche Richtung man sich orientieren möchte. Ich absolvierte 2004/2005 einen Master in Malaysia in Public Health. Ich lernte viel nützliches Wissen über Bevölkerungsmedizin, Epidemiologie (beispielsweise wie man eine Studie richtig konzipiert), auf das ich heute noch zurückgreife.

Und natürlich: Füße dreckig machen! Ins Ausland gehen, sich aktiv am Geschehen beteiligen. Das geht gut über Famulaturen und PJ, ggf. ein Praktikum im Sektor Public Health, z.B. auch über die IFMSA.

 

BVMD: Haben Sie bestimmte Vereine im Auge, die für Studierende mit Interesse an Global Health von Relevanz sein könnten?

Dr. Butenop: Davon gibt es eine Vielzahl, angefangen natürlich mit der BVMD, dem GandHi-Projekt, der IFMSA oder der Sommerakademie in Würzburg zur Tropenmedizin und globaler Gesundheit. Weitere Optionen: jährliche Sommerakademie in Berlin an der Charité oder die Sommerakademie zu Katastrophenmedizin und humanitären Hilfe in Ulm.

Hier noch weitere Lesetipps:

  • Go international, Elgin Hackenbruch
  •  Im Zentrum der Katastrophe, Richard Munz
  • Barmherzigkeit braucht Qualität, Caritas international – schräger Titel, gutes Buch!

Lebenslauf:

2018-06 Kurz-CV Dr Joost Butenop engl