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DR. MED. CHRISTOPH ZERM

Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe mit Weiterbildung in anthroposophischer Medizin, Fachexperte für weibliche Genitalverstümmlung 

Auslandsaufenthalte: Zahlreiche Reisen auf 4 Kontinenten, ca. 10 Kurzaufenthalte in Eritrea

BVMD: Können Sie uns mehr über Ihre Arbeit erzählen?

Dr. Zerm: Ich habe zwei Arbeitsschwerpunkte entwickelt: Seit über 4 Jahrzehnten bin ich als Frauenarzt tätig, wobei ich meinen Schwerpunkt auf anthroposophische Medizin lege und diese Kenntnisse lehrend weitergebe. Ferner befasse ich mich seit Mitte der 1990er Jahre mit internationaler Frauengesundheit insbesondere mit dem Thema Weibliche Genitalverstümmlung (Female Genital Mutilation – FGM).  

Nach rund 30 Jahren klinischer Tätigkeit, davon langjährig in leitender Stellung, arbeite ich seit 2002 in einer Praxis als Gynäkologe, seit 2005 biete ich darüber hinaus an verschiedenen Orten eine Sondersprechstunde für asylsuchende Frauen im Zusammenhang mit weiblicher Genitalverstümmlung und anderen Menschenrechtsverletzungen an. Neben meiner ärztlichen Tätigkeit gebe ich regelmäßig Studentenunterricht im Bereich der anthroposophischen Medizin und halte Fortbildungen zum Thema weibliche Genitalverstümmlung, wodurch ich viel unterwegs bin. Zuletzt reiste ich für Vortragsreisen zum Thema Anthroposophische Medizin nach Georgien, Japan, Taiwan und Thailand.

 

BVMD: Wie wurden Sie zum Female Genital Mutilation-Experten in Deutschland?   

Dr. Zerm: 1996 wurde ich Mitglied des Arbeitskreises „Frauengesundheit in der Entwicklungszusammenarbeit“ (FIDE e. V.) der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe.  Diese Arbeitsgemeinschaft widmet sich entsprechend ihrem Titel der internationalen Frauengesundheit.  Die weibliche Genitalverstümmlung ist selbstverständlich ein Teilgebiet hiervon. Damals gab es wenig eingehende Kenntnisse hierüber, sodass ich anfing zu dem Thema zu recherchieren. 2005 gründete sich das deutsche Netzwerk INTEGRA gegen weibliche Genitalverstümmlung, bei dem ich von Anfang an mitwirkte. Aktuell gibt es schätzungsweise 50.000 Frauen in Deutschland, die betroffen sind.  Dank unserer Arbeit wurde 2014 weibliche Genitalverstümmlung als Diagnose in den ICD-10 Katalog aufgenommen, 2007 erstellte ich, in Anlehnung an einen schweizer Vorschlag, eine Empfehlung zum Umgang mit Betroffenen, 2017  wurde ich von der WHO-Europa -anläßlich der Einführung eines neuen WHO-Handbuchs zum Management weiblicher Genitalverstümmlung- zu einem Experten-Treffen in Sheffield/England eingeladen. Ich arbeite in Deutschland mit vielen Organisationen wie Terre des Femmes, Stop Mutilation, Lessan Hamburg und vielen weiteren eng zusammen. 

Praktische Erfahrung in der Umsetzung erlangte ich in Eritrea, wo die Tradition weiblicher Genitalverstümmlung noch heute sehr verbreitet ist. Ich arbeitete eng mit dem Gesundheitsministerium, dem Bildungsministerium, der Frauen-Union und den Kliniken zusammen. Ein multimodaler Ansatz ist der Schlüssel zum Erfolg. Ohne aktive Mitwirkung der jeweiligen Regierung, lässt sich eine Veränderung bzw. Überwindung von FGM kaum erreichen. 

 

BVMD: Was war Ihre Motivation und Inspiration sich in diese Richtung zu engagieren?

Dr. Zerm: Schon als Kind hatte ich ein starkes Empfinden für Gerechtigkeit. Ich bin in Westberlin aufgewachsen und war bereits mit 12 Jahren politisch interessiert.  Während des Studiums lebte ich ein Jahr lang in Südamerika, wo mir erstmals bewusst wurde, dass es viele unterschiedliche Konzepte der Denk- und Handlungsweisen auf dieser Erde gibt und wie ungerecht die Ressourcen auf der Welt verteilt sind. Ganz natürlicherweise tauchte die Frage in mir auf: Was kann ich tun? 

Mein Wille, mich zu engagieren, konkretisierte sich stärker nach meiner Facharztausbildung. Durch das Beitreten in die Arbeitsgemeinschaft für „Frauengesundheit in der Entwicklungszusammenarbeit“ (FIDE), traf ich auf gleichgesinnte Menschen. 

 

BVMD: Was gefällt Ihnen am meisten und wenigsten an Ihrer Arbeit? 

Dr. Zerm: Ich war ein leidenschaftlicher Kliniker. Die schönste Belohnung für mich ist zu sehen, wie Patientinnen, die man über Jahre betreut hat, sich zu strahlenden, selbstbewussten Persönlichkeiten entwickeln und man möglicherweise einen kleinen Beitrag dazu geleistet hat. 

Aufgrund meines Spezialgebietes begegne ich häufiger Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen, was den Austausch sehr bereichernd macht. Überhaupt habe ich meine Arbeit immer mit großer Begeisterung verrichtet, was sich bis heute nicht verändert hat. Eigentlich müsste ich für alles, was ich tue, Vergnügungssteuer bezahlen… 

Zu den negativen Aspekten: Meine Arbeit hat mich immer sehr absorbiert, somit war ich für meine Familie wenig präsent. Damals ließ sich ein ausgewogenes Privatleben schlecht mit einer Chefarztstelle kombinieren. 

 

BVMD: Wie schaffen Sie es Ihre klinische Tätigkeit mit Ihrem Engagement zu vereinbaren?  Wo begegnet Ihnen Globale Gesundheit in Ihrem (Klinik-)Alltag? 

Dr. Zerm: Solange Sie in einem Beschäftigungsverhältnis stehen, hat die sorgfältige Erfüllung ihrer arbeitsvertraglichen Verpflichtungen oberste Priorität. Grundsätzlich steht für weitere Aktivitäten und Engagements „nur“ die Zeit außerhalb dieser Bindung zur Verfügung. Es hängt dann von Ihrer Überzeugungskraft, Ihrer Sozialkompetenz und ihrer moralischen Phantasie ab, ob sie ihre Kollegen bzw. Kolleginnen dahingehend begeistern können, auch als Team ein humanitäres Engagement zu initiieren und durchzutragen – alles hängt mit allem zusammen! Globale Gesundheit ist heutzutage direkt (für Migrantinnen) und indirekt immer stärker präsent. Ein Beispiel: Schon vor 30 Jahren gab es für einige Monate einen Engpass im Nachschub an Anti-D-Prophylaxe (in der Geburtshilfe). Der Grund: Es war eine zusätzliche Gabe??? für alle Rh-negativen, werdenden Mütter in der 28. SSW eingeführt worden. Durch die Absenkung des Rh-Inkompatibilitätsrisikos um Bruchteile von Prozentpunkten hatten wir uns in Mitteleuropa ein Luxusproblem geschaffen, während in den südlichen Ländern viele Frauen von einer ausreichenden Versorgung mit Anti-D nur träumen konnten (und heute noch können) und viele Babys einfach an Erythroblastose sterben.

 

BVMD: Wenn Sie auf Ihren bisherigen Karriereweg zurückblicken, gibt es etwas was Sie anders gemacht hätten?

Dr. Zerm: Rückblickend sehe ich, dass an entscheidenden Wegmarken meines Lebens das Schicksal für mich entschieden hat und nicht ich (bewusst). Ich wollte eigentlich Allgemeinmediziner werden, nahm jedoch mangels anderer Möglichkeiten eine Stelle auf der Gynäkologie an, weil auf der Inneren Medizin keine Stelle frei war. Es erwies sich als genau das Richtige für mich!

Unter den heutigen Bedingungen hätte ich mir möglicherweise mehr Zeit für meine Familie genommen. 

 

BVMD: Sie waren 13 Jahre lang Chefarzt am Gemeinschaftskrankenhaus Herdecke. Was war für Sie wichtig beim Einstellen von AssistenzärztInnen? Wie haben Sie humanitäre Einsätze bewertet?

Dr. Zerm: Neben dem Willen zu fachlicher Qualifikation stellten für mich das  Engagement für die zu betreuenden Menschen und die besondere Motivation wichtige Kriterien dar.  Für mich sind humanitäre Einsätze (im In- und Ausland) Zeichen von Engagement und Vielseitigkeit, durch die man Improvisationsfähigkeit, Teamarbeit und Kreativität entwickeln kann. Das macht aus Ärzten sehr qualifizierte Mitarbeiter, die meist differenziert und hinterfragend, auch selbstkritisch sind und so das Team voranbringen. Ich habe dies als Chefarzt sehr positiv bewertet.

 

BVMD: Hätten Sie humanitäre Einsätze als Chefarzt erlaubt?

Dr. Zerm: Als Chefarzt hat man natürlich den Druck, mit einer oft knappen Besetzung die Klinik am Laufen zu halten. Deswegen sind Auslandsaufenthalte eher schwierig einzubauen. Aber nichts ist unmöglich. Mit Kreativität und Engagement hätte sich das wohl organisieren lassen. Wer Willen und Engagement zeigt und das Team mitreißen kann, dem stehen viele Türen offen. 

 

BVMD: Wenn man Ihnen ein bezahltes freies Jahr schenken würde, was würden Sie tun?

Dr. Zerm: Das ist eine sehr theoretische Frage. Wenn wir einmal von fortlaufenden Verpflichtungen, in die jeder mehr oder weniger eingebunden ist, absehen, wäre dies natürlich eine verlockende Möglichkeit, sich für eine längere Zeit in humanitäre Hilfe einzubringen, wo auch immer das sinnvoll und notwendig erscheint. Dabei sollte nie die sorgfältige, spezifische Vorbereitung zu kurz kommen und natürlich auch die Selbstprüfung, ob die eigenen Fähigkeiten und Erfahrungen für das ins Auge gefasste Projekt wirklich ergebnisorientiert geeignet sind.

 

BVMD: Welche Ratschläge haben Sie an MedizinstudentInnen, die sich in diesem Bereich engagieren möchten?

Dr. Zerm: Einzelinitiativen, Einzelkämpfer sind heutzutage keine wirklichen Ideale mehr, deswegen würde ich empfehlen, sich einer Gruppe oder Organisation anzuschließen. Mittlerweile gibt es für fast jedes Interessensgebiet eine Organisation. 

Um realistisch in Notlagen helfen zu können, bedarf es eines ausreichenden Wissens und auch einer zumindest anfänglichen eigenen Erfahrung, die durch vorbereitende Schulungen ergänzt werden sollte. Lernen auf Kosten von Menschen, die keine andere Wahl haben und sich nicht wehren können, sollte keine Option sein.


Lebenslauf:

Lebenslauf_ Dr Zerm

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