Eine feministische globale Gesundheitspolitik

Was haben Feminismus und globale Gesundheit gemeinsam? 

Im Feld der globalen Gesundheit beschäftigen wir uns sehr häufig mit Ungleichheiten und globalen Ungerechtigkeiten. Wir beschäftigen uns z.B. mit Machthierarchien und -asymmetrien zwischen dem globalen Norden und globalen Süden. Aber auch zwischen einzelnen Bevölkerungsgruppen innerhalb eines Landes oder einer Stadt. Soziale determinanten sind zudem ein wichtiges Feld in der globalen Gesundheit. Was Feminismus und globale Gesundheit miteinander verbinden soll, davon hat man noch nicht sooft gehört. 

Feminismus, wie wir ihn im Folgenden verwenden, ist nicht nur eine soziale Bewegung für mehr Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern. Es ist auch ein Instrument, um Machthierarchien und Ungleichheiten zu analysieren und zu dekonstruieren. Hierbei ist vor allem auch die intersektionale Perspektive, also das Zusammenwirken zwischen einzelnen Diskriminierungsformen (z.B. Geschlecht, race, sozioökonomischer Hintergrund etc.), zentral. Das Kernziel des Feminismus ist es, diese Machthierarchien abzuschaffen und so, auf der Basis von Menschenrechten, eine bessere Welt für alle Menschen, aller Geschlechter und Hintergründe zu schaffen. Basierend auf dieser Definition kann man also sagen, dass Feminismus und globale Gesundheit ähnliche Ziele und vielleicht auch Kernthemen haben. Denn es geht beiden um den Aufbau einer gerechteren Zukunft und einer besseren Gesundheit für alle Menschen. 

Worum geht es bei einer feministischen globalen Gesundheitspolitik? 

Ähnlich breit wie die Definitionen von Feminismus und Global Health ist auch die Spanne an Themen, die im Rahmen einer feministischen globalen Gesundheitspolitik betrachtet werden können. Sexuelle und Reproduktive Gesundheit und Rechte, mentale Gesundheit, Gender-Disaggregierte Forschung, Männergesundheit, aber auch Global Health Leadership profitieren von einer feministischen Betrachtungsweise. 

So wissen wir beispielsweise, dass ökonomische Entwicklung eines Landes (gemessen am Bruttoinlandsprodukt, BIP) in direktem Zusammenhang mit der Frauenfrauengesundheit in dem Land steht. Eine Verbesserung des Zugangs zu Verhütungsmittel, der Versorgung von Müttern und des Zugangs von Frauen zu Gesundheitsleistungen führt statistisch betrachtet zu einem direkten Zuwachs des BIP, einer Senkung der Kindersterblichkeit und einem Anstieg in der Lebenserwartung von Männern.  

In den letzten Jahren haben viele Gesundheits- und Entwicklungsprogramme die Verbesserung von Mütter- und Kindergesundheit oder besseren Zugang zu sexuellen und reproduktiven Rechten angestrebt. Es hat sich auch in vielen Teilen der Welt einiges verbessert, doch gibt es nachwievor sehr viel Luft nach oben. So sterben täglich immer noch etwa 810 Frauen weltweit im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt. Über 200 Millionen Frauen weltweit haben keinen Zugang zu adäquaten Verhütungsmitteln und Informationen zu diesen. Dabei muss man nicht mal in andere Länder schauen: selbst in Deutschland ist Schwangerschaftsabbruch laut Gesetz immer noch rechtswidrig und die Anzahl an Ärzt*innen, die diesen anbieten, nimmt in den letzten Jahren stetig ab. 

Zahlen der WHO sagen außerdem, dass etwa ⅓ aller Frauen weltweit bereits Opfer von Gewalt geworden sind. Etwa 30% davon wird zur Kategorie häuslicher Gewalt, also von Partnern oder Ex-Partnern (fast immer Männer), gezählt. 

Darüber hinaus fokussieren sich viele dieser Programme nur auf heterosexuelle, cis-gender Frauen und Mädchen und ignorieren die besonderen Bedürfnissen und Benachteiligungen von LGBTQI*-Individuen. 

Centre for Feminist Foreign Policy
Und was ist mit den Männern? 

Allein bei der Verbesserung von Frauen und LGBTQI*-Gesundheit bleibt also noch jede Menge zu tun. Bei einem Blick auf viele Gesundheitsdaten fällt häufig jedoch der sehr berechtigte Einwand: “Aber Männer haben doch viel schlechtere Gesundheitsoutcomes als Frauen, sollte nicht zuerst ihre Gesundheit priorisiert werden?” Es ist völlig richtig, dass Männer sowohl in Gesundheitsoutcomes als auch in gesundheitsbezogenen Verhaltensweisen wesentlich schlechter abschneiden: sie sterben im Schnitte fünf Jahre eher als Frauen, rauchen mehr, trinken mehr, gehen seltener zum Arzt und begehen häufiger Suizid. Doch woran könnte das liegen? Geschlechtsspezifische Stereotypen und Ideale toxischer Männlichkeit besagen, dass Männer angeblich “stark” sein müssen, keine Gefühle zeigen und am besten auch keine Hilfe in Anspruch nehmen dürfen. Das Aufbrechen dieser Stereotypen sollte genauso zu einer feministischen globalen Gesundheitspolitik gehören. Es soll auch die Gesundheit von heterosexuellen, cis-gender Männern in den Blick genommen und verbessert werden.

Global Health Leadership 

Wenn wir von Machthierarchien sprechen, dann ist auch immer die Frage entscheidend, wer die Macht hat Entscheidungen zu treffen und wessen Stimme gehört wird. Ähnlich wie in vielen Politikfeldern sind das auch in der globalen Gesundheit überwiegend weiße cis-Männer aus dem globalen Norden. Während etwa 70% der globalen Health Workforce weiblich ist, zeigt die folgende Grafik von Global Health 50/50 die aktuelle Verteilung der Führungspositionen in Global Health: 

Auch wenn eine feministische globale Gesundheitspolitik mehr bedeutet, als nur die Einführung von Frauenquoten für Führungspositionen, ist die Repräsentation diverser Perspektiven (nicht nur von Frauen!) in Entscheidungsgremien ein wichtiger Faktor.

Auch die sehr deutlichen Machtasymmetrien zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden spielen hier eine entscheidende Rolle. Die globale Gesundheit hat ihren historischen Ursprung in der Tropenmedizin und der Kolonialzeit hat. Da gehört notwendigerweise auch das Aufbrechen von kolonialen Kontinuitäten zu den Zielen einer intersektionalen feministischen globalen Gesundheitspolitik. 

Vielleicht hat die eine oder der andere schon einmal etwas von der Decolonize Global Health Bewegung gehört? Eventuell schreiben wir in einem späteren Newsletter noch einmal mehr hierzu.

Wie könnte eine feministische globale Gesundheitspolitik aussehen? 

Die konkreten Maßnahmen, die nötig sind um eine feministische globale Gesundheitspolitik zu gestalten, sind sehr vielfältig und komplex. 

Es braucht…
… in allen Global Health Organisationen und Institutionen eine Anerkennung der Tatsache, dass Gender ein soziales Konstrukt ist. 
… die Repräsentation diverser Perspektiven in Global Health Führungspositionen. 
… Gender-Disaggregierte Forschung, ausreichenden Einschluss von Frauen und LGBTQI*-Individuen in medizinische Studien und verstärkte Investitionen in Erkrankungen, die vor allem Frauen betreffen. 
… ausreichende Finanzierung von Gesundheitseinrichtungen, Maßnahmen und auch Forschung, die speziell die Bedürfnisse von LGBTQI*-Individuen, rassistisch diskriminierten Personen und anderweitig marginalisierten Menschen in den Fokus nehmen. 
… einen gesicherten Zugang zu sexuellen und reproduktiven Gesundheitsleistungen für alle Menschen weltweit, auch in Konflikt- und humanitären Notsituationen. 
… gesamtgesellschaftlich eine kritische Auseinandersetzung mit geschlechtsspezifischen Stereotypen und Vorurteilen und ihrem Einfluss auf die Gesundheit. 

Diese Liste lässt sich noch endlos fortsetzen, einige konkrete Handlungsempfehlungen für Regierungen findet ihr hier. 

Viele von euch kennen vielleicht das Konzept Health in All Policies – die Evaluation aller politischen Maßnahmen hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Gesundheit. Ähnlich vielschichtig und tiefgreifend müssen auch die Ansätze für eine feministische globale Gesundheitspolitik sein: Jede politische Maßnahme muss durch eine feministische Perspektive hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Gesundheit analysiert werden. 


Mehr zum Thema:
  • Panel Diskussion – A Feminist Global Health Policy – hier
  • Gender Equality – Flying blind in a time of crisis – Global Health Report 50/50 – hier
  • A Feminist Global Health Policy – policy briefing des Centre for Feminist Foreign Policy – hier 
  • UCL Gender and Health resource hub – hier

Quellen:

1The CFFP Glossary (2021): https://centreforfeministforeignpolicy.org/the-cffp-glossary
2Onarheim KH, Iversen JH, Bloom DE (2016): Economic Benefits of Investing in Women’s Health: A Systematic Review. PLoS One. 2016;11(3):e0150120. Published 2016 Mar 30. &  Varkey P, Kureshi S, Lesnick T (2010): Empowerment of Women and its Association with the Health of the Community. Journal of Women’s Health. Jan 2010.71-76. & Klugman J, Li L, Barker K M, Parsons J, Dale K (2019): How are the domains of women’s inclusion, justice, and security associated with maternal and infant mortality across countries? Insights from the Women, Peace, and Security Index, SSM – Population Health, Volume 9, 2019; Stokoe U (1991): Determinants of maternal mortality in the developing world. Aust N Z J Obstet Gynaecol. 1991 Feb;31(1):8-16.
3WHO – Women’s Health: https://www.who.int/health-topics/women-s-health/
4UNFPA – Sexual and Reproductive Health and Rights: An Essential Element of Universal Health Coverage: https://www.unfpa.org/sites/default/files/pub-pdf/SRHR_an_essential_element_of_UHC_2020_online.pdf
5World Health Organisation – Violence against women: https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/violence-against-women
6GBD 2019 Demographics Collaborators (2020): Global age-sex-specific fertility, mortality, healthy life expectancy (HALE), and population estimates in 204 countries and territories, 1950–2019: a comprehensive demographic analysis for the Global Burden of Disease Study 2019; Lancet 2020; 396: 1160–203
7Courtenay, W. (2000): Constructions of masculinity and their influence on men’s well-being: a theory of gender and health, Social Science & Medicine, Volume 50, Issue 10, 2000, Pages 1385-1401.

Bild 1: Bild: Centre for Feminist Foreign Policy,Instagram Account
Bild 2: Global Health 50/50 report, s.o.