Ärztin und Vorstandsmitglied von Ärzte ohne Grenzen e.V.
Können Sie uns mehr über Ihre Arbeit/ehrenamtliche Tätigkeit erzählen?
Ich bin Oberärztin an der in der Frauenklinik und arbeite vor allem in der Geburtshilfe und im Kreissaal. Außerdem habe ich eine Sprechstunde für Frauen, die eine Genitalbeschneidung erlebt haben und engagiere mich da in und um Mainz. Und ich bin im Vorstand von Ärzte ohne Grenzen Deutschland tätig, das ist das ehrenamtliche Engagement, das ich neben meinem Job zurzeit ausführe.
Wie gestaltet sich das Ehrenamt?
Ärzte ohne Grenzen wurde ursprünglich in Frankreich gegründet, mittlerweile gibt es viele Vereine weltweit und Ärzte ohne Grenzen Deutschland ist einer davon. Die Aufgaben werden in Deutschland vom Berliner Büro aus geleitetet, sie umfassen die Koordination von Projekten vor Ort, Kommunikation über unsere Arbeit, das heißt, das was wir sehen noch einmal in Worte zu fassen, für unsere Patient*innen einzustehen und uns auch für eine medizinische humanitäre Versorgung von Menschen weltweit einzusetzen, sowie die Spendeneinnahmen und natürlich Versenden von Mitarbeiter*innen in die Projekte. Der deutsche Vorstand von Ärzte ohne Grenzen ist ein gewählter Vorstand, das heißt er wird aus der Mitte der Mitglieder heraus gewählt. Der Vorstand hat eine Kontroll- sowie eine Unterstützungsfunktion für das deutsche Büro und ist gleichzeitig Teil des internationalen Vereinsnetzwerkes von Ärzte ohne Grenzen.
Wie sind Sie dazu gekommen sich in diese Richtung zu engagieren?
Ich habe zwei Jahre in Deutschland als Ärztin gearbeitet, das ist die Voraussetzung, um überhaupt das erste Mal mit Ärzte ohne Grenzen in einen Einsatz gehen zu können. Danach war ich für neun Monate in der Zentralafrikanischen Republik, das war 2011. Damals habe ich überlegt, mit welcher Organisation ich mich im Bereich der humanitären Hilfe einsetzen möchte. Ärzte ohne Grenzen ist eine Organisation, die ich schon aus dem Studium kannte und die mir sehr zugesagt hat aufgrund ihrer Prinzipien, mit denen ich mich sehr identifiziert habe.
Zwei Jahre später bin ich dann nochmal mit Ärzte ohne Grenzen nach Indien gegangen. Während ich dort im Einsatz war, war ich in Nepal bei einem Training und war dort das erste Mal bei einer Vereinssitzung von der South Asian Regional Association, dem regionalen Verein in Südostasien, dabei. Dort wurden wirklich intensive Diskussionen darüber geführt, wie die Organisation in bestimmten Bereichen weiterarbeiten soll oder auch nicht, und ich fand das total spannend. Ich fand es toll, dass diese Themen diskutiert wurden und dass Stimmen gehört wurden, dass auch meine Stimme gehört wurde, obwohl ich eine einfache Mitarbeiterin war.
Zurück in Deutschland wurde ich dann Mitglied des deutschen Vereins von Ärzte ohne Grenzen, wo ich mich eingebracht und engagiert habe. Vorallem die Bereitschaft zum gemeinsamen Diskurs bei sehr wichtigen Themen, sowie das damit einhergehende Engagement in der Zivilgesellschaft hat mich sehr begeistert. Irgendwann kamen dann Menschen aus dem Verein auf mich zu und haben mich gefragt, ob ich es mir nicht vorstellen könne auch im Vorstand zu arbeiten. Ich engagiere mich gerne und glaube, dass wir auch eine soziale Verantwortung haben. Ärzte ohne Grenzen ist für mich eine Organisation, die neben der humanitären medizinischen Arbeit auch eine wichtige Stimme in der Zivilgesellschaft hat und ich habe so die Möglichkeit Teil dieser Stimme zu sein, gleichzeitig identifiziere ich mich sehr mit der Organisation und ihre Weiterentwicklung liegt mir am Herzen und deshalb habe ich mich entschieden, als Vorstandsmitglied mehr Verantwortung zu übernehmen.
Was ist Ihre Motivation sich in diesem Bereich zu engagieren?
Soziales Engagement geht für mich auch mit einer zivilgesellschaftlichen Verantwortung einher, die wir alle haben und jede*r lebt das auf verschiedene Arten und Weisen aus. Ich habe das Glück, ein Handwerk gelernt zu haben, das ich anwenden kann. Das Glück zu haben, das Medizinstudium abschließen zu können, als Ärztin arbeiten zu können und auch noch Spaß zu haben, an dem was man tut – das hat für mich einen ganz großen Wert. Und für mich ist auch klar, dass ich diesen Job gerne mache, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Das steckt ja schon im Namen von Ärzte ohne Grenzen, dieses Nationaldenken zu überwinden und sich für Patient*innen weltweit einzusetzen.
Wie schaffen Sie es Ihre klinische Tätigkeit mit Ihrem Engagement zu vereinbaren?
Für meine ersten beiden Einsätze habe ich gekündigt, hätte jedoch beide Male die Möglichkeit der Rückkehr in die Klinik gehabt, da mein Einsatz bei Ärzte ohne Grenzen von beiden Arbeitgebern unterstützt wurde. Meine letzten Einsätze waren dann Kurzzeiteinsätze, einmal in Nigeria für drei Monate und zuletzt in der Elfenbeinküste für einen Monat. Diese kürzeren Einsätze waren allerdings nur möglich, weil ich dann fertig ausgebildete Gynäkologin war. Ich habe in der Klinik die Abmachung, dass ich einmal im Jahr für einige Wochen in ein Projekt gehen kann, in dieser Zeit werde ich freigestellt, das klappt vor allem weil mein Team das mit trägt.
Welche Erfahrungen haben Sie bei Ihren Einsätzen gesammelt?
Die Einsätze waren sehr unterschiedlich. Ich bin in jedem Einsatz an meine Grenzen gekommen, sie waren unglaublich bereichernd, ich habe großartige Menschen kennengelernt und ich habe Einblicke in Orte und Kulturen bekommen, die mir sonst nicht möglich gewesen wären. Ich habe Freund*innen auf der ganzen Welt gewonnen und ich habe begriffen, wie wenig ich eigentlich von dem weiß, wie Menschen weltweit leben.
Viele Menschen sagen zum Beispiel ich sei in Afrika gewesen, aber das finde ich kann man so nicht sagen, ich war in einigen, wenigen afrikanischen Ländern, an einigen Orten und habe von diesem riesen Kontinent mit seiner ganzen Vielfalt immer noch kaum was gesehen, geschweige denn, dass ich mich auskennen würde. Und ich war in einer kleinen Ecke von Indien, einem riesigen Land, von dem ich immer noch nur einen kleinen Bruchteil kennengelernt habe. Aber diese Orte, die ich kennenlernen durfte, waren eine große Bereicherung, für die ich sehr, sehr dankbar bin, für diese kleinen Fenster die mir in manche Länder und Kulturen einen kleinen Einblick erlaubt haben.
Und ich habe viel gelernt! Ich habe medizinisch sehr viel von meinen Kolleg*innen vor Ort gelernt – man muss sich klarmachen, dass wenn ich aus Deutschland komme und ein ganz anderes Gesundheitssystem kenne und andere Krankheitsbilder, dass ich dort vieles nicht auf Anhieb erkenne. Also, ich habe beruflich viel an Wissen gewonnen, von meinen Kolleg*innen vor Ort und meinen internationalen Kolleg*innen, aber ich habe auch zwischenmenschlich und vor allem auch über mich selbst sehr viel gelernt. Wie gesagt – eine riesengroße Bereicherung.
Wenn man Ihnen ein bezahltes freies Jahr schenken würde, was würden Sie tun?
Das gleiche! Ich würde keine Pause von der Arbeit mit Patient*innen haben wollen. Und ich würde auch mein Engagement bei Ärzte ohne Grenzen nicht missen wollen.
Welche Ratschläge haben Sie für Medizinstudierende, die sich in diesem Bereich engagieren möchten?
Aus meiner eigenen Erfahrung heraus kann ich sagen, macht das, was euch Spaß macht und wofür ihr euch ehrlich interessiert. Ich mache das was ich mache gerne und bin glaube ich vor allem deswegen da gelandet, wo ich bin.
Mein Ratschlag wäre, formt nicht euer Leben für euer CV, sondern lasst euren CV entstehen aus dem was ihr gerne macht. Und es gibt so viele Möglichkeiten sich zu engagieren, schaut über den Tellerrand des Medizinstudiums hinaus!