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DR. PARNIAN PARVANTA

Ärztin und Vorstandsmitglied von Ärzte ohne Grenzen e.V.

Können Sie uns mehr über Ihre Arbeit/ehrenamtliche Tätigkeit erzählen?

Ich bin Oberärztin an der in der Frauenklinik und arbeite vor allem in der Geburtshilfe und im Kreissaal. Außerdem habe ich eine Sprechstunde für Frauen, die eine Genitalbeschneidung erlebt haben und engagiere mich da in und um Mainz. Und ich bin im Vorstand von Ärzte ohne Grenzen Deutschland tätig, das ist das ehrenamtliche Engagement, das ich neben meinem Job zurzeit ausführe.

Wie gestaltet sich das Ehrenamt?

Ärzte ohne Grenzen wurde ursprünglich in Frankreich gegründet, mittlerweile gibt es viele Vereine weltweit und Ärzte ohne Grenzen Deutschland ist einer davon.  Die Aufgaben werden in Deutschland vom Berliner Büro aus geleitetet, sie umfassen die Koordination von Projekten vor Ort, Kommunikation über unsere Arbeit, das heißt, das was wir sehen noch einmal in Worte zu fassen, für unsere Patient*innen einzustehen und uns auch für eine medizinische humanitäre Versorgung von Menschen weltweit einzusetzen, sowie die Spendeneinnahmen und natürlich Versenden von Mitarbeiter*innen in die Projekte. Der deutsche Vorstand von Ärzte ohne Grenzen ist ein gewählter Vorstand, das heißt er wird aus der Mitte der Mitglieder heraus gewählt. Der Vorstand hat eine Kontroll- sowie eine Unterstützungsfunktion für das deutsche Büro und ist gleichzeitig Teil des internationalen Vereinsnetzwerkes von Ärzte ohne Grenzen.

Wie sind Sie dazu gekommen sich in diese Richtung zu engagieren?

Ich habe zwei Jahre in Deutschland als Ärztin gearbeitet, das ist die Voraussetzung, um überhaupt das erste Mal mit Ärzte ohne Grenzen in einen Einsatz gehen zu können. Danach war ich für neun Monate in der Zentralafrikanischen Republik, das war 2011. Damals habe ich überlegt, mit welcher Organisation ich mich im Bereich der humanitären Hilfe einsetzen möchte. Ärzte ohne Grenzen ist eine Organisation, die ich schon aus dem Studium kannte und die mir sehr zugesagt hat aufgrund ihrer Prinzipien, mit denen ich mich sehr identifiziert habe.

Zwei Jahre später bin ich dann nochmal mit Ärzte ohne Grenzen nach Indien gegangen. Während ich dort im Einsatz war, war ich in Nepal bei einem Training und war dort das erste Mal bei einer Vereinssitzung von der South Asian Regional Association, dem regionalen Verein in Südostasien, dabei. Dort wurden wirklich intensive Diskussionen darüber geführt, wie die Organisation in bestimmten Bereichen weiterarbeiten soll oder auch nicht, und ich fand das total spannend. Ich fand es toll, dass diese Themen diskutiert wurden und dass Stimmen gehört wurden, dass auch meine Stimme gehört wurde, obwohl ich eine einfache Mitarbeiterin war.

Zurück in Deutschland wurde ich dann Mitglied des deutschen Vereins von Ärzte ohne Grenzen, wo ich mich eingebracht und engagiert habe. Vorallem die Bereitschaft zum gemeinsamen Diskurs bei sehr wichtigen Themen, sowie das damit einhergehende Engagement in der Zivilgesellschaft hat mich sehr begeistert. Irgendwann kamen dann Menschen aus dem Verein auf mich zu und haben mich gefragt, ob ich es mir nicht vorstellen könne auch im Vorstand zu arbeiten. Ich engagiere mich gerne und glaube, dass wir auch eine soziale Verantwortung haben. Ärzte ohne Grenzen ist für mich eine Organisation, die neben der humanitären medizinischen Arbeit auch eine wichtige Stimme in der Zivilgesellschaft hat und ich habe so die Möglichkeit Teil dieser Stimme zu sein, gleichzeitig identifiziere ich mich sehr mit der Organisation und ihre Weiterentwicklung liegt mir am Herzen und deshalb habe ich mich entschieden, als Vorstandsmitglied mehr Verantwortung zu übernehmen.

Was ist Ihre Motivation sich in diesem Bereich zu engagieren? 

Soziales Engagement geht für mich auch mit einer zivilgesellschaftlichen Verantwortung einher, die wir alle haben und jede*r lebt das auf verschiedene Arten und Weisen aus. Ich habe das Glück, ein Handwerk gelernt zu haben, das ich anwenden kann. Das Glück zu haben, das Medizinstudium abschließen zu können, als Ärztin arbeiten zu können und auch noch Spaß zu haben, an dem was man tut – das hat für mich einen ganz großen Wert. Und für mich ist auch klar, dass ich diesen Job gerne mache, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Das steckt ja schon im Namen von Ärzte ohne Grenzen, dieses Nationaldenken zu überwinden und sich für Patient*innen weltweit einzusetzen.

Wie schaffen Sie es Ihre klinische Tätigkeit mit Ihrem Engagement zu vereinbaren?

Für meine ersten beiden Einsätze habe ich gekündigt, hätte jedoch beide Male die Möglichkeit der Rückkehr in die Klinik gehabt, da mein Einsatz bei Ärzte ohne Grenzen von beiden Arbeitgebern unterstützt wurde.  Meine letzten Einsätze waren dann Kurzzeiteinsätze, einmal in Nigeria für drei Monate und zuletzt in der Elfenbeinküste für einen Monat. Diese kürzeren Einsätze waren allerdings nur möglich, weil ich dann fertig ausgebildete Gynäkologin war. Ich habe in der Klinik die Abmachung, dass ich einmal im Jahr für einige Wochen in ein Projekt gehen kann, in dieser Zeit  werde ich  freigestellt, das klappt vor allem weil mein Team das mit trägt. 

Welche Erfahrungen haben Sie bei Ihren Einsätzen gesammelt?

Die Einsätze waren sehr unterschiedlich. Ich bin in jedem Einsatz an meine Grenzen gekommen, sie waren unglaublich bereichernd, ich habe großartige Menschen kennengelernt und ich habe Einblicke in Orte und Kulturen bekommen, die mir sonst nicht möglich gewesen wären. Ich habe Freund*innen auf der ganzen Welt gewonnen und ich habe begriffen, wie wenig ich eigentlich von dem weiß,  wie Menschen weltweit leben. 

Viele Menschen sagen zum Beispiel ich sei in Afrika gewesen, aber das finde ich kann man so nicht sagen, ich war in einigen, wenigen afrikanischen Ländern, an einigen Orten und habe von diesem riesen  Kontinent mit seiner ganzen Vielfalt immer noch kaum was gesehen, geschweige denn, dass ich mich auskennen würde. Und ich war in einer kleinen Ecke von Indien, einem riesigen Land, von dem ich immer noch nur einen kleinen Bruchteil kennengelernt habe. Aber diese Orte, die ich kennenlernen durfte, waren eine große Bereicherung, für die ich sehr, sehr dankbar bin, für diese kleinen Fenster die mir in manche Länder und Kulturen einen kleinen Einblick erlaubt haben. 

Und ich habe viel gelernt! Ich habe medizinisch sehr viel von meinen Kolleg*innen vor Ort gelernt – man muss sich klarmachen, dass wenn ich aus Deutschland komme und ein ganz anderes Gesundheitssystem kenne und andere Krankheitsbilder, dass ich dort vieles nicht auf Anhieb erkenne. Also, ich habe beruflich viel an Wissen gewonnen, von meinen Kolleg*innen vor Ort und meinen internationalen Kolleg*innen, aber ich habe auch zwischenmenschlich und vor allem auch über mich selbst sehr viel gelernt. Wie gesagt – eine riesengroße Bereicherung.

Wenn man Ihnen ein bezahltes freies Jahr schenken würde, was würden Sie tun?

Das gleiche! Ich  würde keine Pause von der Arbeit mit Patient*innen haben wollen. Und ich würde auch mein Engagement bei Ärzte ohne Grenzen nicht missen wollen.

Welche Ratschläge haben Sie für Medizinstudierende, die sich in diesem Bereich engagieren möchten?

Aus meiner eigenen Erfahrung heraus kann ich sagen,  macht das, was euch Spaß macht und wofür ihr euch ehrlich interessiert. Ich mache das was ich mache gerne und bin glaube ich vor allem deswegen da gelandet, wo ich bin. 

Mein Ratschlag wäre, formt nicht euer Leben für euer CV, sondern  lasst euren CV entstehen aus dem was ihr gerne macht. Und es gibt so viele Möglichkeiten sich zu engagieren, schaut über den Tellerrand des Medizinstudiums hinaus!

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DR. MAYA FEHLING

Ärztin und Sexualtherapeutin mit Schwerpunkt digitale weibliche Gesundheit, Gründerin von being female

Auslandsaufenthalte: Kap Verde, Tansania, Frankreich, Schweiz, USA

Wie würden Sie sich in drei Worten beschreiben?

Neugierig, enthusiastisch, data-driven.

 

Was haben Sie sich als Student*in vorgestellt, was Sie später machen werden/ wie Sie später arbeiten werden?

Es ging schon mit 6 los, als ich mir vorstellte, später Kinderärztin in Afrika zu werden- was auch daran lag, dass ich die ersten zwei Jahre in Tansania aufwuchs.

Auch im Studium wollte ich noch Kinderärztin werden!

 

Wie lässt sich Ihre aktuelle Tätigkeit beschreiben? Welche Aufgaben haben Sie?

Ich arbeite bei einem digitalen Unternehmen namens data4life, das auch gleichzeitig eine gemeinnützige Organisation ist. Ziel ist es, Gesundheitsdaten so zu verwenden, dass sowohl die Nutzer*innen als auch die Klient*innen und Forscher*innen einen Mehrwert daraus erkennen, um prognostische und therapeutische Ansätze zu verbessern.

Da ich in dem Unternehmen viele Freiräume habe, kann ich mich gleichzeitig meinem eigenen Projekt being female zuwenden, das aus meinem Interesse an Frauengesundheit entstand. Das ist für mich eine großartige Möglichkeit, ganz viel aus meinem Leben dort einzubringen.

 

Auf welchen (Um-)Wegen sind Sie zu dieser Position gekommen?

Ich bin während des Medizinstudiums schon sehr, sehr viel gereist und habe alle Famulaturen und auch mein Praktisches Jahr im Ausland gemacht, unter anderem war ich in Paris, Bern und Boston. Für die Facharztausbildung war ich zuerst in der französischen Schweiz, dann in Genf und schließlich in Paris.

Häufig ging es sehr hierarchisch zu- ich habe mir oftmals die Behandlung anders gewünscht und dann habe ich mir gedacht: Entweder ich breche das alles ab und werde Schriftstellerin oder ich gehe in die humanitäre Richtung.

Ich war dann für Ärzte ohne Grenzen in zwei Noteinsätzen tätig, zuerst auf Kap Verde und dann in Nigeria. Das hat mir sehr, sehr gut gefallen. Als ich zurückkam wurde mir ein fellowship am Massachusetts Hospital in Boston angeboten- das war eine großartige Möglichkeit!  Dort habe ich in einem Projekt im Südsudan gearbeitet, bei dem traditionelle Geburtshelferinnen in basischen Maßnahmen ausgebildet wurden, um im Notfall handeln zu können.  Im Rahmen des fellowships habe ich noch einen Master in Global Health angefangen.

Danach habe ich bei Ärzte ohne Grenzen 3 Jahre als Medical-Quality-Adviser gearbeitet und ein System entwickelt, das überlegter an Qualität humanitärer Medizin herangeht. Denn nicht immer ist jede Hilfe besser als keine Hilfe- das ist häufig die Grundannahme, dem ist aber nicht so! Man dringt ja in einen Mikro- oder Makrokosmos ein.

Jedoch verdient man bei Ärzte ohne Grenzen- im Vergleich als Assistenzärztin- verhältnismäßig wenig. Außerdem, wenn man im Bereich Global Health arbeitet, muss man aufpassen, nicht sarkastisch und zynisch werden- auch wenn man weiß, dass man nur ein kleines Rad im Getriebe ist. Auf Dauer ist es schwierig, weil man so viel Ungerechtigkeit erlebt und dem natürlich auch ausgesetzt ist. Ich habe mich gefragt, ob wir nicht mehr auf localssetzen sollten, weil sie davon am meisten profitieren.

Schon im Südsudan ist mir aufgefallen, wieviel man digital bewirken kann und dass Technologie auch im Bereich der Gesundheitsmedizin genutzt werden kann. Es gibt sehr viel Bewegung und auch viele Entwickler*innen, die auf lokaler Ebene arbeiten und sich nach den Bedürfnissen der dortigen Bewohner*innen richten- diese neuen, innovativen Ansätze fand ich sehr spannend. Häufig versuchen wir, fremden Ländern ein Gesundheitssystem aufzuoktruieren, das sich über Jahrhunderte bei uns etabliert hat. Über die digitale Gesundheit entsteht ein agileres System-weswegen ich zusätzlich noch einen Master of Administration (MBA) gemacht habe.

 

Was schätzen Sie am meisten an Ihrer Arbeit? Worauf könnten Sie verzichten?

Ich schätze die Flexibilität in der Arbeit sehr, es ist dynamisch, man lernt immer wieder Neues und arbeitet strategisch und wir kommunizieren viel untereinander. Wir sind ein junggebliebenes, internationales Team. Es geht auch sehr viel um die persönliche Entwicklung -das kenne ich aus dem Krankenhaus so gar nicht! Außerdem werde ich an der Arbeit und Entwicklung von being female unterstützt.

Bei being female arbeite ich einem sehr dynamischen Feld, was leider häufig in der Medizin inkorrekt abgebildet wird, obwohl Sexualität ein so großer Bestandteil des Lebens und der Gesundheit ist.  Gerade für Frauen gibt es in vielen Ländern keinen Zugang zu guten Informationen.

 

Welchen Stellenwert sollte Globale Gesundheit in der Ausbildung angehender Mediziner*innen einnehmen? Wie war es bei Ihrer Ausbildung?

Wir sagen zum Beispiel Frauenheilkunde und sprechen nur von Reproduktion- was eine sehr männliche Sichtweise ist- daraus ist es ja auch entstanden.

Das Thema Gender-Medicine ist auch total wichtig. So viel in der Medizin ist basierend auf männlichen Körper, an männlichen Probanden, an männlichen Tieren, durch männliche Forscher- vieles basiert auf den Erfahrungen von Männern. Dieser Ansatz ist zu einseitig.

Zudem sollte Planetary Health mehr in den Fokus rücken, weil der Klimawandel auch für ämere Ländern einer der größten Langzeitbedrohungen ist- verursacht durch uns, die Haupt-Kontributor*innen.

Das Studium beinhaltet viele Grundlagen und ist sehr intensiv, gleichzeitig sollte aber mehr Personen-zentriert gearbeitet werden- dieser Ansatz fehlt mir. Es sind ja nicht alle krank, das ist ja auch eine Grund-Premisse. Es ist zu viel hierarchisch, zu wenig fallbezogen und immer Auswendiglernen, Auswendiglernen, Auswendiglernen.

 

Welche Herausforderungen mussten Sie sich in Ihrem beruflichen oder persönlichen Leben stellen? Wie haben sie diese überwunden? 

Ganz vielen! Die größte Herausforderung war der Schritt aus der Klinik raus, weil man mit einer sehr konkreten Vorstellung in das Studium geht: Man wird irgendwann Ärztin im weißen Kittel und behandelt Patient*innen. Dem muss man sich dann stellen und es kommen Fragen wie: „Willst du nicht doch noch den Facharzt fertig machen?“ Und dann zuzugeben: „Ich kann es mir gar nicht vorstellen.“

 

An welchen Vorbildern orientieren Sie sich? Haben Sie Ihre Wertvorstellung im Laufe der Jahre verändert?

Es gab immer wieder Mentor*innen, die mir sehr viel Mut und Zuspruch gegeben haben. Das versuche ich auch weiterzugeben: Die Selbstentwicklung zu ermöglichen und zu unterstützen.

Werte verändern sich sehr langsam, bei mir haben sie sich mehr konkretisiert als verändert. Ich bin eine große Idealistin und habe versucht, im Studium das rauszusuchen, was viel Energie gibt, Spaß macht und mir liegt.

Manchmal muss man sich seinen Vorstellungen stellen, da finde ich es sehr hilfreich zu reflektieren „Will ich das überhaupt? Oder ist es gerade Trend?“ Immer wieder reflektieren, was man selbst vom Leben will- das habe ich kontinuierlich gemacht .

Mittlerweile bin ich schon relativ weit weg vom herkömmlichen Gesundheitssystem und immer noch neugierig und auch offen, um anderes auszuprobieren, wie bspw. meine sexualtherapeutische Ausbildung.

 

Wenn Sie zurückblicken, gibt es etwas was Sie anders gemacht hätten?

Früher im Studium habe ich die Leute beneidet, die richtig ihren Bereich gefunden haben und darin Expert*innen geworden sind- da habe ich immer den Eindruck gehabt: Ich muss meins finden. Ich bin aber froh, das nicht getan zu haben, weil ich liebe es, so breit aufgestellt zu sein: Einen Yoga-Trainer Schein zu haben, einen MBI. Ich mag es, mich auch ständig der Ausbildung auszusetzen, Neues zu lernen. Ich finde es toll, wenn man nicht so in seiner Bubble lebt – da würde ich eigentlich nichts dran ändern wollen.

 

Wenn man Ihnen ein bezahltes freies Jahr schenken würde, was würden Sie tun?

Being female aufbauen! Definitiv! Und dabei die Pleasure-App bauen, die wir gerade als Prototyp für being female testen.

 

Welche Ratschläge haben Sie für Studierende, die sich in diesem Bereich engagieren möchten?

So viel wie möglich nebenher machen. Dinge ausprobieren, sich Felder zu erarbeiten, um zu sehen, wie es ist, außerhalb der Klinik zu arbeiten. Gerade die erweiterte Sicht auf Dinge hat mir immer geholfen. Durch Reisen, durch Arbeit mit Obdachlosen. Offen sein für die Türen, die sich öffnen. Und wenn man rausgeht und sich mit Leuten unterhält, dann öffnen sich diese Türen.

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DR. ASSIA BRANDUP-LUKANOW

Beraterin in verschiedenen Organisationen im Bereich Global Health

Auslandsaufenthalte: USA, UK, Dänemark, Russland, Zentralasien, Kaukasus, Baltikum, Rwanda, Ghana, Burkina Faso, Yemen

Wie würden Sie sich in drei Worten beschreiben?

Neugierig. Meistens froh und fleißig. Ich arbeite gerne, sagen wir so!

 

Was haben Sie sich als Student*in vorgestellt, was Sie später machen werden/ wie Sie später arbeiten werden?

Durch ein Stipendium habe ich die letzten zwei Jahre des Abiturs in Wales verbracht, wo    wir eine internationale Gemeinschaft waren- das hat mich sehr mitgeprägt. Schon als Jugendliche wollte ich Ärztin zu werden. Kurz vor dem Abitur habe ich mich jedoch entschlossen, stattdessen Psychologie zu studieren, da ich gut mit Menschen umgehen und mich in deren Probleme hineinversetzen kann. Im Psychologiestudium fehlte mir jedoch das Biologische und Naturwissenschaftliche. Während der psychologischen Praktika in der Psychiatrie und in psychosomatischen Abteilungen habe ich dann gemerkt, dass bei allen Fällen, bei denen es im Krankenhaus Entscheidungen zu treffen gab, immer die Ärzt*innen das letzte Wort hatten, auch wenn die Psychologen genauso oder näher an den Patient*innen waren.

Aus diesen Gründen habe ich im zweiten Teil des Psychologiestudiums zusätzlich mit dem Medizinstudium angefangen- mit dem Gedanken, dass ich auch weiterhin psychosomatisch arbeiten wollte. Parallel hat mich aber auch die Entwicklungshilfe interessiert. 

 

Wie lässt sich Ihre Tätigkeit beschreiben? Wie war Ihr Werdegang?

Nach dem Medizinstudium habe ich in der Rheumatologie promoviert und dann angefangen, in der Inneren Medizin zu arbeiten. Davor war ich drei Monate in den USA, am Massachusetts General Hospital. Das war eine sehr spannende Zeit!

Anschließend bin ich an die Deutsche Klinik für Diagnostik (DKD) in Wiesbaden gegangen, mit vielen Kolleg*innen, von denen die meisten internationale Erfahrung hatten. In der Klinik, die nach dem Model der Mayoklinik in Rochester organisiert war, herrschte echter Pioniergeist und wir hatten richtig viel Zeit für unsere Patient*innen.

Nachdem ich dort drei Jahre war, bin ich meinem Traum gefolgt, mehr international zu arbeiten und habe 1998 ein Stipendium für Tropenmedizin an der London School of Hygiene and Tropical Medicine bekommen. Ich hatte die Vorstellung, dass ich als klinische Ärztin nach Afrika gehe und hatte deswegen gleichzeitig Kurse am Afrika-Center für soziale und wirtschaftliche Entwicklung belegt. Schließlich habe ich in der GTZ  (Gesellschaft für technische Zusammenarbeit, heute GIZ ) als Projektkoordinatorin angefangen. Dort war ich zuständig für ein reines Public Health Projekt, bei dem es darum ging, die besten Interventionen im Basisgesundheitswesen, insbesondere in Bezug auf Mutter-Kind Gesundheit zu finden, die mit wenig Geld viel bewegen können. So kam ich zur reproduktiven Gesundheit und habe damals das erste Konzeptpapier hierzu für die Bundesregierung mitgeschrieben!

Danach ging ich nach London zurück und habe für die International Planned Parenthood Federation (IPPF) an einem Gesundheitsprojekt, an dem auch die WHO beteiligt war, in den Ländern der  ehemaligen Sowjetunion gearbeitet. Ich übernahm dann die Regionalberaterstelle in der Abteilung Mutter-Kind und Jugendlichen-Gesundheit in dem Europäischen Regionalbüro der WHO, und wir zogen deshalb nach Dänemark, weil sich dort die Europäische Zentrale der WHO befindet. Dort blieb ich neun Jahre und ging danach, jetzt als Abteilungsleiterin für Gesundheit, Bildung, und Soziale Sicherheit zur GTZ zurück.

2006 zogen wir nach Dänemark zurück und dort arbeitete ich sowohl weiterhin als Beraterin in der Entwicklungszusammenarbeit und für WHO und GFATM sowie das Dänische Zentrum für Gesundheit und Entwicklung. Weiterhin war ich auch klinisch an verschiedenen Krankenhäusern tätig– unter anderem auch in Grönland.

In den letzten zwei Jahren war ich wieder als Beraterin für die WHO tätig und ging der Frage nach, wie weit Länder in Zentralasien in der Implementierung der Gesundheits- SDGs nachgekommen sind.

In der Corona-Pandemie war ich auch einige Monate wieder klinisch tätig. Die klinische Arbeit und die sehr gute klinische Ausbildung hat mir immer geholfen, die Arbeit in der Globalen Gesundheit zu verstehen- ich kannte die Organisation von Krankenhäusern und die Arbeitsabläufe der Pflegenden und Ärzt*innen von innen – das schafft eine Vertrauensbasis, wenn man Kollegen oder auch Gesundheitsministerien im Ausland berät.

 

Was schätzen Sie am meisten an Ihrer Arbeit? Worauf könnten Sie verzichten?

Ich schätze die Vielfalt der Dinge, der Probleme, denen man begegnet. Das Besondere an der Internationalen Arbeit ist das Kennenlernen von anderen Kulturen und anderen Menschen, Sprachen, Lebensweisen, Philosophien und auch der gegenseitige Respekt, der mit dieser Arbeit verbunden ist. Vor allem, wenn ich sehe, was für Vorurteile, Rassismus und Diskriminierung zwischen Ländern und Menschen bestehen, denke ich daran, dass durch das gegenseitige Kennenlernen und Besprechen viele Probleme gelöst werden könnten.

     Es gibt aber auch immer Dinge, über die man vielleicht nicht so gluecklich ist. In der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit geht es ja nicht nur um das Fachliche, also die gesundheitsfachlich-besten Lösungen, sondern auch die politischen- und die diplomatisch-möglichen Lösungen. Da muss man sehr vorsichtig sein- und auch geduldig. Es dauert manchmal lange, bis man Erfolge sieht, und diese koennen dann durch Wirtschaftskrisen oder Kriege sehr schnell wieder zerstoert werden. Das muss man in Kauf nehmen koennen und dann wieder von vorne anfangen..

 

Welche Herausforderungen mussten Sie sich in Ihrem beruflichen oder persönlichen Leben stellen? Wie haben sie diese überwunden? 

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf war immer eine Herausforderung! Da sind mir zwei Dinge zugute bekommen: Ich habe meine beiden Kinder ziemlich spät bekommen, wodurch ich beruflich schon einiges erreicht hatte, als ich Mutter wurde. Da ich zu dieser Zeit in Dänemark war, hatte ich das Glück, dass das Versorgungssystem für Kinder ausgezeichnet war. Das Reisen war trotzdem eine Herausforderung, meine Kinder habe ich oft mitgenommen, solange sie noch nicht in der Schule waren. Vor Ort habe ich mir Hilfe für die Kinder organisiert oder meine Mutter mitgenommen, und ich habe die Kinderbetreuung auch mit meinem Mann geteilt.

Die Herausforderung wuchs, als die Kinder in der Schule waren, da ich die Abwesenheiten decken musste- das wurde dann mit der Zeit sehr belastend für die Familie, da mein Mann als Journalist auch sehr viel unterwegs war.

Deswegen habe ich mich damals entschlossen, in einer Klinik auf Bornholm zu arbeiten, bei der ich klinisch tätig sein konnte und gleichzeitig vom Krankenhaus aus kürzere Einsätze für internationale Organisationen machen konnte. Zudem hatte ich eine Teilzeitaufgabe an der Uni-Kopenhagen, bei der es um die Kontrolle von vernachlässigte Tropenkrankheiten ging.

 

Welchen Stellenwert hatte globale Gesundheit bei Ihnen in der Ausbildung?

Bei mir war es ganz anders als heute- es hat sich wirklich, wirklich geändert. Als ich damals studiert habe, gab es diesen Ausdruck noch gar nicht! Als ich während des Studiums für eine Zeit in Ghana war, erkrankte ich an Malaria, an einer Form, die immer wieder kommt. Zwei Jahr später, als ich wieder hier war, hatte ich einen Fieberanfall. Ich wusste, dass es Malaria war, es wurde aber – obwohl ich in der Uniklinik war- anfangs nicht ernst genommen. Das Wissen war damals nicht vorhanden!

 

Welchen Stellenwert sollte Globale Gesundheit in der Ausbildung angehender Mediziner*innen einnehmen? Welche Bedeutung schreiben Sie dem Thema auch in Zukunft zu?

Globale Gesundheit sollte ein Teil des Curriculums werden. Wir wissen heute als globale Gemeinschaft so viel mehr, als wir damals wussten. Alle Ärzt*innen, auch die, die in Deutschland bleiben, werden durch die Migrations- und Flüchtlingssituation überall mit Fragen der globalen Gesundheit konfrontiert.

Man muss hier auch Krankheiten mitdenken, die nicht so häufig sind.

Die Welt ist heute so stark verbunden, dass man sich nicht mehr leisten kann, Mediziner*innen nicht in globaler Gesundheit auszubilden. Alle müssen damit Berührung gehabt haben! Auch klinisch muss man Krankheiten mitdenken, die in Deutschland oder Europa nicht so häufig sind.

 

An welchen Vorbildern orientieren Sie sich?  Haben Sie Ihre Wertvorstellung im Laufe der Jahre verändert?

Wenn ich zurückdenke, waren es die ersten Lehrer*innen, die ich gehabt habe- Menschen aus der Schulzeit, die mich sehr motiviert haben, die mir neue Perspektiven gegeben haben. Ich hatte einen tollen Biologielehrer, eine tolle Deutschlehrerin, einen tollen Soziologielehrer, der eigentlich evangelischer Priester war- der hat die ganze Entwicklungspolitik-Problematik so beleuchtet, dass man sie als Schüler verstehen konnte. Das sind Leute, die mich wirklich beeinflusst haben. Ich hatte an der DKD tolle klinische Mentoren in der inneren Medizin. Später, als ich in der Ausbildung in der Tropenmedizin an der London School of Hygiene and Tropical Medicine war, hatte ich Professor*innen, die gleichzeitig klinisch und systemisch gedacht haben, das hat mich sehr beeinflusst.

Ich hatte dann das große Glück, dass, als ich bei der International Planned Parenthood Orgnisation (IPPF)arbeitete, Dr. Halfdan Mahler Generalsekretär war- er war vorher 15 Jahre lang Generalsekretär der WHO. Er hatte keine Angst zu sagen, was er für richtig hielt und er hatte ein Charisma, sodass er Leute mitreißen konnte- er war eines meiner großen Vorbilder.

Bei IPPF hatte ich auch eine großartige Direktorin- Lynn Thomas- die eine sehr globale Entwicklungsperspektive in all ihrer Arbeit hatte und eine sehr große Fähigkeit, zuzuhören und Probleme zu erkennen. Das war ein Mensch, für den Hierarchien keine Rolle gespielt haben- das ist gerade in der Medizin wichtig, wo ein oft hierarchisch organisiertes Berufsklima herrscht, da war es befreiend, mit jemandem zu arbeiten, der diese Notwendigkeit nicht sah.

Auch mein GTZ Chef Prof. Rolf Korte, dessen Nachfolgerin ich nach seiner Pensionierung wurde, war eine Inspiration in seiner Fähhigkeit, nach vorne zu denken, und Gesundheit als etwas zu sehen, für das nicht nur der Gesundheitssektor zuständig war.

Ich glaube, ich hatte das große Glück, mit vielen inspirierenden Kolleginnen und Kollegen zusammenzuarbeiten – von Prof. Ilona Kickbusch habe ich gelernt, mehr auf die Zusammenhänge zwischen Politik und Gesundheit und zwischen Gendergleichstellung und Gesundheit zu achten. Von dem ehemaligen Gesundheitsminister von Tajikistan, Kinderarzt Dr. Nasrulloh Abdujabarov habe ich gelernt, wie man Gesundheitsreformen systematisch in einem Land ausrollen kann, und das man immer groß träumen muss. Von meinem Kollegen und Mutterschaftsvertreter Dr. Joseph Kasonde, späterer Gesundheitsminister von Zambia habe ich gelernt, dass man durchaus Forschung und wissenschaftliches Vorgehen mit politischen Gesundheitsreformen und Entscheidungen vereinbaren kann und sollte, und so kann ich noch viele andere wunderbare Kollegen nennen, mit denen mein Berufsleben mich in Berührung gebracht hat. Dafür bin ich sehr dankbar.

 

Wenn Sie zurückblicken, gibt es etwas, was Sie anders gemacht hätten?

Als ich anfing davon zu träumen, international zu arbeiten- vielleicht mal bei der WHO-hatte immer das Bild: Ich bin dafür noch nicht gut genug, ich muss immer noch das machen und das machen und das machen, bevor ich mich überhaupt mal dort bewerben kann. Und im Nachhinein bin ich dann dahin gekommen- auf ganz anderen Wegen, aber das hätte vielleicht auch früher passieren können, wenn ich mehr Mut gehabt hätte. Das möchte ich den jungen Leuten und Studierenden mitgeben: wenn man Lust hat und etwas machen will, dann sollte man das auch tun und nicht denken ´Das kann ich nicht!´ .

Das Schlimmste, was einem passieren kann, ist, dass man abgelehnt wird oder das jemand sagt: „Kommen Sie in 3 Jahren wieder!“- mehr nicht. Aber was positiv passieren kann, ist, dass man diesen Arbeitsbereich kennenlernt und dass Menschen einen kennenlernen und dass man selbst definieren kann, wo man arbeiten möchte. 

 

Welche Ratschläge haben Sie für Studierende, die sich in diesem Bereich engagieren möchten?

Ich habe in den letzten Jahren viel mit jungen Kolleg*innen zusammengearbeitet. Oft sind sie an einem Wendepunkt, an dem man entscheiden muss, in welche Richtung es geht. Wenn man gerade aus dem Studium kommt und dann gleich in die Internationale Gesundheit oder Globale Arbeit gehen will, dann rate ich immer dazu, trotzdem noch klinisch zu arbeiten, um eine gute Grundlage haben. Man wird immer in der Globalen Gesundheit mit Fragen konfrontiert werden, die die Klinik betreffen- die kann man nicht beantworten, wenn man selbst nie diese Erfahrungen gemacht hat. Und es ist sehr schwer, wenn man einmal aus der klinischen Arbeit weggegangen ist, den Weg in die klinische Arbeit wieder zu gehen. Deswegen finde ich es besser, wenn man die Möglichkeit hat, erstmal einen Facharzt zu machen- es sei denn, man ist ganz klar mehr ein organisationsfachlicher Mensch.

Und noch ein zweiter Rat: man muss wissen, dass alles, was man in globaler Gesundheit macht, nicht sofort einen Effekt hat. Es kann Jahre dauern, bis das, was man macht, irgendeine Wirkung hat. Man muss riskieren können, diese Wirkung nie zu sehen. Das ist ganz anders, wenn man mit Patient*innen arbeitet, dann sieht man sofort die Veränderung. Das hat man im Öffentlichen Gesundheitswesen nicht in der gleichen Weise. Da muss man eine bestimmte Frustrationstoleranz entwickeln.

 

Wenn man Ihnen ein bezahltes freies Jahr schenken würde, was würden Sie tun?

Ich würde weitgehend dasselbe tun, was ich jetzt mache. Gerade in der jetzigen Situation, in dieser Pandemie, gibt es so unglaublich viel zu tun. Und wenn dies nicht so wäre, dann würde ich mir wahrscheinlich die Zeit nehmen, meine bisherigen Erfahrungen für andere festzuhalten und aufzuschreiben. Und vielleicht malen oder einen Segelkurs machen…


CV Assia Brandup-Lukanow

 

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DR. MARTINA KLOEPFER

Mitbegründerin und Vorstandsvorsitzende des Instituts für Gender-Gesundheit

Auslandsaufenthalte: USA, Italien

Wie würden Sie sich in drei Worten beschreiben?

Interessiert, beharrlich und zugewandt.

 

Was haben Sie sich als Student*in vorgestellt, was Sie später machen werden/ wie Sie später arbeiten werden? 

Ich habe zuallererst Biochemie studiert, dort habe ich mir vorgestellt, später in der medizinischen Forschung tätig zu sein. Mein Ziel war, wie bei vielen jungen Menschen, die Welt zu verbessern. 

Damals hatte man in der Forschung damit begonnen, das menschliche Genom zu entschlüsseln und wir haben im Labor davon geträumt, Menschen per „Gentechnik“ (das Wort war zu der Zeit noch unbekannt) zu helfen. Einer der Träume war,  verlorene oder amputierte Gliedmaßen wieder nachwachsen lassen zu können. Einen Beitrag zu Heilung und Verbesserung zu leisten, ist etwas, dass mich bis heute noch interessiert.

 

Wie lässt sich Ihre aktuelle Tätigkeit beschreiben? Welche Aufgaben haben Sie?

Ich bin Mitbegründerin und Vorstandsvorsitzende des Instituts für Gender-Gesundheit, das aus dem Bundeskongress Gender-Gesundheit hervorgegangen ist. Der Kongress hat von 2013 bis 2016 an prominenter Stelle in Berlin stattgefunden und hatte zum Ziel, das Thema einer breiteren Öffentlichkeit nahe zu bringen – außerhalb der Fachkreise – und auch in der Agenda des gesundheitspolitischen Berlins zu verankern. In den letzten Jahren hatten wir Gelegenheit beim BMC-Kongress, dem Bundeskongress Managed Care, mit einzelnen Slots die Aufmerksamkeit auf geschlechtersensible Fragen zu lenken. 2019 lag der Fokus auf Alter und Gesundheit; Männer und Frauen hören ja nicht auf Männer und Frauen zu sein, auch wenn sie alt werden. 2021 sind wir der Frage nach einem Geschlechter-Bias bei Künstlicher Intelligenz nachgegangen. Seit 2013 gibt es auch einen e-Mail-Newsletter zu dem Thema. Neben den medizinischen und soziokulturellen Aspekten, die zur geschlechtersensiblen Medizin gehören, beleuchten wir auch Strukturen, die z.B. in Universitäten, aber auch Kliniken die Grundlage von Forschung bilden. Eine geschlechterparitätische Besetzung von Führungspositionen spielt hier keine ganz unerhebliche Rolle.

 

Woran liegt es, dass Gender-Medizin so wenig Aufmerksamkeit erfährt?

In Deutschland geht die Entwicklung nur zögerlich voran – im Vergleich zu anderen Ländern, wie z.B. Östereich. Hier kann man als Mediziner bzw. Medizinerin ein Diplom in Gender Medicine bei der österreichischen Ärztekammer erwerben. Das geht in Deutschland noch nicht. Auch in der Approbationsordnung war Gender-Medizinisches Wissen noch zu wenig abgebildet. Erst, wenn dieses Wissen auch in den Regelstudiengängen prüfungsrelevant ist, wird es selbstverständlicher in die Versorgung einfließen. Hier unterscheiden sich auch die Fachgesellschaften, die Behandlungsleitlinien festlegen; je nachdem, wie die Vorstandsebene aufgestellt ist, desto mehr Zeit braucht es, damit eine geschlechtersensible Sichtweise ankommt. In vielen Entscheidungsgremien und Fachgesellschaften finden sich noch überwiegend Männer. 

 

Auf welchen (Um-)Wegen sind Sie zu dieser Position gekommen?

Nachdem ich Biochemie und Geisteswissenschaften studiert habe, bin ich durch meine Tätigkeit, Menschen für öffentliche Auftritte vorzubereiten, in Kontakt mit der Berliner Gesundheitspolitik gekommen.  Im Zuge dessen wurde ich auf Veranstaltungen eingeladen, unter anderem zum Thema Gender-Medizin und habe dort hervorragende Wissenschaftler*innen und Ärzt*innen gehört. 

Mein Ziel war es, dass das Thema Gender und Gesundheit mehr Aufmerksamkeit bekommt und der breiten Öffentlichkeit zugänglich wird, sodass ich 2013 den Bundeskongress Gender ins Leben rief, der bisher vier Mal stattgefunden hat. Mit dem Institut für Gender-Gesundheit führe ich das Ziel weiter und organisiere Veranstaltungen und sorge für Informationsverbreitung. 

 

Welchen Stellenwert sollte Globale Gesundheit in der Ausbildung angehender Mediziner*innen einnehmen? Welche Bedeutung schreiben Sie dem Thema auch in Zukunft zu?

Meine Idealvorstellung wäre es, dass angehende Mediziner*innen umfassender ausgebildet werden und Gender-Medizin ein selbstverständlicher Teil des Curriculums würde. Man weiß, dass bei koronaren Herzerkrankungen Frauen unterversorgt sind und auf bestimmte Untersuchungen und Therapieverfahren nicht ansprechen. Frauen können beispielsweise bei Herzinfarkten andere Symptome aufweisen als Männer und kommunizieren diese auch anders. Bei Depressionen ist es umgekehrt: Die gelernte Symptomatik ist auf Frauen ausgerichtet, bei Männern kann es komplett andere Erscheinungsbilder geben. Diese unterschiedliche Symptomatik und die allgemein, oft noch fehlende Akzeptanz gerade psychischer Erkrankungen bei Männern sind Gründe, warum Männer bei dieser Indikation eher unterdiagnostiziert sind.

Wenn ich mir etwas wünschen könnte: Eine geschlechtersensible Herangehensweise bei all jenen Indikationen, die Männer und Frauen betreffen können! Bis in die Enzymzusammensetzung der Leber gibt es Geschlechterunterschiede.

 

Was schätzen Sie am meisten an Ihrer Arbeit? Worauf könnten Sie verzichten?

An meiner Arbeit schätze ich am allermeisten, dass ich immer wieder Neues lerne und selber an den Erkenntnissen teilhaben kann. Das macht sehr viel Freude!

Worauf ich verzichten kann, ist, dass es immer noch Menschen und Ärzt*innen gibt, die meinen, dass Gender-Medizin kein ernst zu nehmendes Thema ist. 

 

Welche Herausforderungen mussten Sie sich in Ihrem beruflichen oder persönlichen Leben stellen? Wie haben sie diese überwunden? 

Zu Beginn meines Studiums wurde uns Frauen vermittelt, dass aus uns nichts Besseres werden würde, als (bio)chemische Assistentinnen, obwohl wir genau mit den gleichen Voraussetzungen und Anforderungen im Studium konfrontiert wurden. 

Häufig herrschte auch die Schwierigkeit, sich gegen Vorurteile gegenüber Gender-Gesundheit durchzusetzen, z.B. beim Bundeskongress. Es herrscht das Klischee, dass Männer in der Gender-Medizin keinen Platz haben. Es wurde von Frauen initiiert, weil sie sozusagen zuerst darauf gekommen sind, dass sich ein weiblicher von einem männlichen Körper in vieler Hinsicht unterscheidet. Hier war Marianne Legato aus den USA federführend, die den Unterschied zwischen einem männlichen und einem weiblichen Herzinfarkt beobachtet hat. Es ist mir jedoch sehr wichtig, immer wieder zu betonen, dass Gender-Medizin beide Geschlechter im Blick hat. 

 

Wenn Sie zurückblicken, gibt es etwas was Sie anders gemacht hätten?

Mit dem heutigen Wissen hätte ich vielleicht mein naturwissenschaftliches Studium mit einem Diplom oder einer Promotion abgeschlossen. Die Situation und die allgemeinen Konditionen waren vor einigen Jahrzehnten noch sehr anders.

Heute gibt es verschiedene Möglichkeiten des Mentorings; das Wort gab es damals noch nicht einmal im Kontext einer begleitenden Unterstützung von Studentinnen oder auch Studenten. Ich denke, das hätte mir viel geholfen.

 

An welchen Vorbildern orientieren Sie sich? 

Das ist ein großes Thema! Allgemein sollte man sich für Vorbilder*innen für junge Frauen kümmern. Mein Vorbild war damals schon lange tot: Marie Curie. Es gab für uns Mädchen und Frauen einfach kaum weibliche Vorbilder im Bereich der Naturwissenschaft, die auch öffentlich in Erscheinung traten. In männlicher Form Christiaan Barnard, der das erste Herz verpflanzt hat.

Frauen sollen sichtbarer sein, dazu gehört Mut. Wenn man allen Mut zusammennimmt, dann wird man/frau sichtbar. In dem Moment, in dem Frauen öffentlich werden, ergeben sich Vorbilder, wie sich an dem Nobelpreis für Medizin 2020 gezeigt hat.

 

Welche Eigenschaft schätzen Sie an sich am meisten?

Eine gewisse Sorgsamkeit und Gründlichkeit, obwohl das auch zum Verhängnis werden kann. Und Umsichtigkeit.

 

Wenn man Ihnen ein bezahltes freies Jahr schenken würde, was würden Sie tun?

Bei dieser Frage bin ich kläglich gescheitert! Ich kann mir das gar nicht vorstellen!

Ich würde tatsächlich versuchen, alle wissenschaftlichen Artikel, die mich interessieren, durchzuarbeiten. Außerdem würde ich mich stärker im gesundheitspolitischen Bereich engagieren. 

 

Welche Ratschläge haben Sie für Studierende, die sich in diesem Bereich engagieren möchten?

Wer sich im Bereich Gender-Medizin engagieren möchte, sollte schauen, ob es an den Fakultäten Veranstaltungen oder Seminare gibt, bei denen man sich weiterbilden kann. Auch die Deutsche Gesellschaft für Geschlechtsspezifische Medizin bietet immer wieder Weiterbildungen an (www.dgesgm.de). Zusätzlich gibt es viele Publikationen, die fundiert und interessant sind. Wir hoffen, dass es in der Ausbildung auch wirklich integriert wird, es gibt mittlerweile Programme und neue Institute, die aufgebaut werden. Manchmal hilft aber nur das Ausland. 


Dr. Martina Kloepfer.Kurzvita

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PROF. DR. DR. BETTINA PFLEIDERER

Professorin an der Universität Münster mit Schwerpunkt Cognition and Gender sowie häusliche Gewalt, ehemalige Präsidentin des Weltärztinnenbundes

Auslandsaufenthalte: 5 Jahre USA und in vielen Ländern in der Rolle als Präsidentin des Weltärztinnenbundes

Wie würden Sie sich in drei Worten beschreiben?

Frau Pfleiderer: Leidenschaftlich, motivierend und real-optimistisch.

Was haben Sie sich als Student*in vorgestellt, was Sie später machen werden/ wie Sie später arbeiten werden? 

Frau Pfleiderer: Ich habe Chemie studiert und später noch Medizin studiert; insofern kann ich  das gar nicht so genau sagen. Wir müssen daher ein bisschen weiter ausholen: als ich mein Abitur gemacht habe, hatte ich diese drei Vorstellungen: entweder Musiklehrerin für gehörlose Kinder, Medizin oder Naturwissenschaften. Ich habe mich dann schließlich für Chemie entschieden. 

Auf welchen (Um-)Wegen sind Sie zu ihrer jetzigen Position gekommen?

Frau Pfleiderer: Nach dem Chemiestudium habe ich promoviert und bin anschließend an die Harvard-Medical-School in Boston, USA, gegangen. Dort habe ich mich mit der Alterung von Silikonimplantaten beschäftigt und es kamen immer mehr Fragen auf, wie der Körper mit Silikon, das aus Silikonimplantaten in den menschlichen Körper gelangen kann, umgeht. Deshalb fing ich Medizin als Zweitstudium an, arbeitete aber gleichzeitig bereits als Wissenschaftlerin am Institut für klinische Radiologie des Universitätsklinikums Münster.  Durch meine Dissertation in  Medizin begann ich mich für das Thema Geschlecht zu interessieren- und neben der geschlechtssensiblen Medizin wurde schwere häusliche Gewalt einer der Schwerpunkte meiner Forschung.

2010 fand in Münster der Weltärztinnenkongress statt; während der Kongressorganisation wurde ich die Vorsitzende der Regionalgruppe Münster des deutschen Ärztinnenbundes und war federführend in die wissenschaftliche Organisation des Kongresses eingebunden. Als ich dann die vielen Vorträge aus aller Welt von den Ärzt*innen hörte, dachte ich: Globale Medizin- das ist es! 

Dort merkte ich: Medizin muss global betrachtet werden, man muss als Netzwerk arbeiten und man braucht eine Stimme, die man hörbar machen muss-  und das kann man nicht alleine! Und: globale Medizin steht immer in Zusammenhang mit Menschenrechten; ohne Menschenrechtsaktivistin zu sein, kann man nachhaltig nichts in den Ländern auf lange Sicht verändern!

2013 wurde ich gefragt, ob ich mir vorstellen könne, als Präsidentin für den Weltärztinnenbund zu kandidieren. Ich dachte: Frauen zweifeln zu oft, ob sie so etwas gut genug ausfüllen können- und trotz meiner eigenen inneren „Zweifel“-  du musst das machen! Das war für mich eine großartige Möglichkeit, nicht nur über Dinge zu reden, sondern auch etwas zu bewirken.

Als Präsidentin des Weltärztinnenbundes (MWIA) von 2016-2019 bin ich gefühlt  in der ganzen Welt gewesen, habe Krankenhäuser und Slums besucht, mit Gesundheitsminister*innen und vielen Kolleginnen gesprochen und bin sogar 2 mal nach New York gereist, um an der alljährlichen Commission of the Status of Women (CSW) derUN Women jedes Jahr im März als Delegierte des MWIA teilzunehmen und auch auf einer Veranstaltung zu sprechen. 

Ich finde es ist motivierend, dass man durch die Arbeit die ich tue- noch immer bin ich im Exekutivkomitee der MWIA- doch einiges bewegen kann! Dabei hilft mir sicherlich, dass ich gut organisieren, begeistern, reden, Dinge anstoßen, improvisieren und koordinieren kann. Dazu braucht es Leidenschaft, für das, was man tut! Wenn ich etwas nicht gut finde, kann ich es nicht machen. Es treibt mich an, Ungerechtigkeiten anzugehen! Denn wenn ich etwas ungerecht finde, kann ich nicht so tun, als ob es richtig wäre. 

Was schätzen Sie am meisten an Ihrer Arbeit? Worauf könnten Sie verzichten?

Ich schätze die Begegnung mit wunderbaren Frauen aus vielen verschiedenen Winkeln der Welt, die kompetent in so vielem sind und sich leidenschaftlich für Menschen in ihren Ländern einsetzen und die mir erlauben, mich in ihre Welt mitzunehmen. Wenn man nämlich erfolgreich etwas in globaler Gesundheitspolitik bewegen möchte, muss man eintauchen und sich einlassen können auf eine andere Kultur, um Dinge besser zu verstehen. Um genau das zu verhindern was zu oft passiert, dass man gutmeinend von außen kommt und meint, man wüsste alles besser und den anderen seine Ideen und Vorstellungen überstülpt.  Für mich ist wichtig, dass man seine Komfortzone verlässt- und das geht nicht vom Schreibtisch aus. Man braucht auch die Begegnung mit anderen, muss vor Ort sein und mit anderen sprechen. 

Worauf möchte ich nicht verzichten? Projekte am Leben zu erhalten, auch wenn es schlecht läuft  und die Geduld dabei nicht zu verlieren. Verbesserung der Situation von Frauen- auch bezogen auf Gesundheit und Menschenrechtsarbeit- ist eine schwierige Arbeit in vielen Ländern! Es wird zu wenig als wichtig erachtet, Frauen und Müttergesundheit wird auch in vielen Ländern nicht gewürdigt, einfach das Frauen per se einen so geringen Status haben. 

Worauf kann ich verzichten? Dass die Entscheidungen zu oft Männer fällen, aber die Frauen machen die ganze Arbeit. Und wenn man bei der globalen Gesundheit bleibt: Frauen übernehmen einen großen Teil der Arbeit, werden aber zu wenig repräsentiert.

Worauf ich auch verzichten könnte, ist, dass zu viele zu viel reden und zu wenig getan wird. 

 

Welchen Stellenwert sollte Globale Gesundheit in der Ausbildung angehender Mediziner*innen einnehmen? Welche Bedeutung schreiben Sie dem Thema auch in Zukunft zu?

Frau Pfleiderer: Ich finde, Globale Gesundheit sollte für alle Medizinstudierende verpflichtend sein. Allein schon, um die Probleme zu verstehen, die es in Deutschland gibt.  Wenn wir auf Flüchtlinge schauen, die nach Deutschland kommen, sehen wir, dass fast jeder Asylsuchende traumatisiert ist. Es gibt Spannungsfelder zwischen Familie, Tradition und den Versuch, in Deutschland Fuß zu fassen. Wir müssen versuchen die Menschen in ihrem kulturellen Kontext zu sehen,  ihre Krankheiten und Familienstrukturen. Ärztinnen und Ärzte müssen dafür sensibilisiert und darauf aufmerksam gemacht werden.

Welche Herausforderungen mussten Sie sich in Ihrem beruflichen oder persönlichen Leben stellen? Wie haben sie diese überwunden? 

Frau Pfleiderer: Ich musste mich immer wieder dem traditionellen Rollenbild der Frau entgegenstellen!

Als ich Chemie studierte sagte ein Professor zu uns: „Eine Frau im weißen Kittel sieht aus wie eine bessere Verkäuferin“ oder „Sie werden das sowieso nicht beenden.“ 

Es wurde immer wieder die Frage gestellt, ob ich kompetent sei. Ich war oft die Erste, vor allem, weil ich in einem männlichen dominierten Bereich, der Naturwissenschaft, angefangen habe. 

Die Herausforderung ist, dass man sich nicht immer in Frage stellt, obwohl man häufig in Frage gestellt wird. 

Meine Rolle ist leider immer noch zu oft die der Vorreiterin. Man braucht aber auch Vorbilder um zu zeigen: Es geht! Man muss ganz klar sagen: Frauen müssen immer noch viel besser sein, um die gleichen Chancen zu haben. Frauen werden immer noch mit unterschiedlichem Maß gemessen.

An welchen Vorbildern orientieren Sie sich?  

Frau Pfleiderer: Für mich sind Vorbilder mutige, kompetente Frauen, die etwas verändern. Es sind für mich die vielen Frauen, die großartige Arbeit unter schwierigen Umständen leisten und trotzdem nicht aufgeben!

Welche Eigenschaft schätzen Sie an sich am meisten?

Frau Pfleiderer: Ich bin lernfähig, offen, tolerant und stur.

Wenn Sie zurückblicken, gibt es etwas, was Sie anders gemacht hätten?

Frau Pfleiderer: Aus meiner heutigen Sicht denke ich, dass ich zielstrebiger und strategischer hätte sein sollen. Ich glaube, ein bisschen mehr Strategie täte uns Frauen gut, dann würden wir noch mehr erreichen.

Außerdem bin erst sehr spät auf die sozialen Medien eingestiegen. Ich habe gemerkt, dass man die größte Reichweite hat, wenn man die sozialen Medien nutzt und aktiv ist. 

Wenn man Ihnen ein bezahltes freies Jahr schenken würde, was würden Sie tun?

Frau Pfleiderer: Ich würde auf jeden Fall ein Buch über globale Gesundheit schreiben! Dafür würde ich in andere Länder reisen und Interviews führen und über Begegnungen, Gespräche und Visionen schreiben.

Vielleicht würde ich gerne nochmal in ein anderes Land gehen und dort an einem Projekt längerfristig mitarbeiten. Und mehr kreative Sachen im Bereich Social-Media ausprobieren. Ich würde die Freiheit nutzen, um meine Komfortzone verlassen und mich weiterentwickeln! 

Welche Ratschläge haben Sie für Studierende, die sich in diesem Bereich engagieren möchten?

Frau Pfleiderer: Das Wichtigste ist, sich auf ehrenamtlicher Ebene zu engagieren, sei es zum Beispiel bei Women in Global Health, UN-Women, Amnesty International oder Ärzte ohne Grenzen. Aber es gibt noch viel mehr Möglichkeiten.

Wenn man später wirklich beruflich auf dem Gebiet tätig sein möchte, sollte man herausfinden, welche Fakultäten Aufbaustudiengänge oder Spezialisierungen anbieten. Wichtig ist, sich eine fundierte Basis zu erschaffen. Beispielsweise kann man auch seine Doktorarbeit in diesem Bereich schreiben oder ein PJ-Tertial im Ausland machen, um besser zu verstehen, was Global Health eigentlich bedeutet. Wenn man Interesse an globaler Gesundheit hat, dann kann man das nicht – wie bereits vorher gesagt- vom Schreibtisch aus machen! Um etwas zu bewirken, muss man vor Ort sein und die dort bestehenden lokalen Netzwerke stärken. Und nur wenn man den Menschen dort mit Respekt, Hochachtung und auf Augenhöhe begegnet, kann man nachhaltig was bewirken!


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MARTINA MERTEN

Fachjournalistin, Beraterin für globale Gesundheitsfragen, Dozentin im Bereich Global Health

Auslandsaufenthalte: China, Philippinen, Vietnam, Thailand, Indien, Pakistan, USA, Rumänien, Bulgarien, Nigeria und viele weitere

Wie würden Sie sich in drei Worten beschreiben?

Frau Merten: Neugierig, interessiert an fremden Kulturen und sehr offen. Und eine vierte Eigenschaft darf hier nicht fehlen: Ich bin sehr kritisch.

 

Was haben Sie sich als Student*in vorgestellt, was Sie später machen werden/ wie Sie später arbeiten werden? 

Frau Merten: In Teilen habe ich mir genau das vorgestellt, was ich jetzt mache. Mein Wunsch war von klein auf, als Journalistin zu arbeiten. Der Fachbezug war mir allerdings noch nicht klar. Auch hätte ich vor 15 Jahren nicht gedacht, dass ich einmal in der Lehre landen sollte. Entwicklungspolitisches Interesse weckte ein sechsmonatiger Aufenthalt während des Studiums auf den Philippinen.

 

Wie sind Sie in den Gesundheitsbereich gekommen?

Frau Merten: Sozialpolitische Fragen haben mich während des Studiums besonders angesprochen. Ein Praktikum beim Deutschen Ärzteblatt in der Politikredaktion vermittelte dann Details der deutschen Gesundheits- und Sozialpolitik. Im Anschluss bin ich dann endgültig in die Gesundheitspolitik gerutscht und im Laufe der Jahre dann in die globale Gesundheitspolitik.

 

Wie lässt sich Ihre aktuelle Tätigkeit beschreiben? Welche Aufgaben haben Sie?

Frau Merten: Aktuell bin ich überwiegend in der Beratung tätig, also im Entwicklungspolitischen Bereich z.B. für die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und prüfe als Gutachterin Covid-19 Anträge. 

Zum anderen beschäftige ich mich mit Innovationen rund um Covid-19 in Zentralasien, die ich im Rahmen eines mehrjährigen Projekts der Asiatischen Entwicklungsbank begutachte und recherchiere..

Nebenbei arbeite ich natürlich weiterhin in der Lehre, derzeit an drei Universitäten.

Meine journalistische Tätigkeit ist gerade auf Eis gelegt, da Aufenthalte im Ausland derzeit nicht möglich sind. 

Vor ungefähr 15 Jahren habe ich angefangen, neugierig auf ausländische Gesundheitssysteme zu werden. Ich bin dann durch mehr als 10 Länder gereist und habe mir die Gesundheitssysteme näher angeschaut. Seitdem bin ich 1 bis 4 mal im Jahr Wochen bis Monate in verschiedenen Ländern und habe verschiedene Global Health Themen analysiert.

 

Haben Sie ein Projekt, was Ihnen ganz besonders nahe gegangen ist?

Frau Merten: Viele Themen gehen mir sehr nahe. Besonders berührt hat mich zuletzt eine Recherche zum Thema „aging populations“. Während dieses Projekts bin ich unter anderem mit einem Pfarrer durch Tamil Nadu gereist. Dieser Pfarrer hat alte, kranke und obdachlose Menschen, darunter auch sterbende, an Straßenrändern aufgesammelt und sich um sie gekümmert.. Was sich mir da geboten hat, ist sehr nahe gegangen.

 

Was schätzen Sie am meisten an Ihrer Arbeit? Worauf könnten Sie verzichten?

Frau Merten: Bei meiner journalistischen Tätigkeit  schätze ich die Unvoreingenommenheit. Ich kann während der Arbeit selbst entscheiden, mit wem ich spreche, wo ich diese Gespräche führen möchte und was ich daraus mache. Kritisch sehe ich allerdings, dass manche Verlagshäuser eine bestimmte Geschichte schon im Kopf haben, die sie lesen wollen. Was wirklich vor Ort passiert, wollen sie nicht immer hören.

In der Lehre sind die Vorgaben zum Teil starr; der Praxisbezug kommt bisweilen  zu kurz. Der dritte Doktortitel ist manchen dann doch wichtiger als Studierenden wirklich die Materie zu vermitteln.

 

Welchen Stellenwert sollte Globale Gesundheit in der Ausbildung angehender Mediziner*innen einnehmen? Welche Bedeutung schreiben Sie dem Thema auch in Zukunft zu?

Frau Merten: Gerade jüngere Studierende haben sich meist noch wenig mit globaler Gesundheit auseinandergesetzt. Mit Ausnahme einiger ist das Wissen von anderen Systemstrukturen recht gering.

Dies sollte sich ändern – auch das hat die Pandemie gezeigt. Global Health sollte ein Kernbestandteil des Medizinstudiums werden. 

 

Welche Herausforderungen mussten Sie sich in Ihrem beruflichen oder persönlichen Leben stellen? Wie haben sie diese überwunden? 

Frau Merten: Da könnte ich stundenlang erzählen! Die Vereinbarkeit meines Berufes mit einem Familienleben ist eher  gering. Der Auslandsjournalismus findet nun einmal im Ausland statt, die Tage sind lang, die Vorbereitungen kosten Zeit. Auch  die entwicklungspolitische Beratung hält sich nicht immer an 17 Uhr Zeitgrenzen. Ab einem gewissen Alter sind es doch meist Männer, die ich vor Ort treffen. Oder überwiegend Männer.

Die Lehre halte ich für weitaus besser vereinbar mit Familie, dort herrscht größere Flexibilität für Frauen. Obwohl man auch da sagen muss, umso weiter man nach oben geht, desto dünner wird die Luft. 

 

Welche Eigenschaft schätzen Sie an sich am meisten?

Frau Merten: Das Interesse an Themen lässt nie nach. Die Neugierde an Neuem überwiegt immer. Am Ende der Recherchen, meist sehr erschöpft, plane ich im Geiste bereits die nächste Reise .

 

Wenn Sie zurückblicken, gibt es etwas, was Sie anders gemacht hätten?

Frau Merten: Eigentlich nicht. Ich hätte mir bloß öfter gewünscht, dass es leichter gewesen wäre. Der Weg war immer steinig. Müde werden, das konnte ich mir nicht erlauben. In dem Moment, in dem die Sehnsucht nach sozialer Sicherheit überwogen hätte, hätte ich meinen Weg abbrechen müssen

 

Wenn man Ihnen ein bezahltes freies Jahr schenken würde, was würden Sie tun?

Frau Merten: Darauf hoffe ich immer noch! Dann würde ich reisen!

 

Welche Ratschläge haben Sie für Studierende, die sich in diesem Bereich engagieren möchten?

Frau Merten: Wenn man wirklich im globalen Feld tätig sein möchte, sollte man gerne im Ausland arbeiten. Man kann diese Tätigkeit nicht vom Schreibtisch aus machen. Bei den meisten Stellen gibt es viele Wechsel, weniger Sicherheit und es ist sicherlich ein etwas aufreibenderes Leben. Von daher der Ratschlag: Man sollte sich gut überlegen, ob man für diesen Bereich brennt.  


Martina_Merten_Kurzbiographie 2021

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WER WIR SIND

Aktuell sind wir zu zweit! Henrike Kleuser und Katarzyna Skipiol haben Doctors in Global Action im Sommer 2020 gemeinsam übernommen und als Unterprojekt von GandHI wiederbelebt! Henni ist Medizinstudentin in Würzburg und interessiert sie sich für Entwicklungszusammenarbeit sowie Migration und Gesundheit. Kasia studiert ebenfalls Medizin und engagiert sich für Global Health Lehre in der GandHI Aachen Lokalgruppe. Sie begeistert sie sich für Infektiologie und macht sich für die Gleichberechtigung von Frauen stark. 

Wir freuen uns über Verstärkung! Bei Interesse meldet euch unter gandhi@bvmd.de

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INTERVIEWS

“Soziales Engagement geht für mich auch mit einer zivilgesellschaftlichen Verantwortung einher, die wir alle haben und jede*r lebt das auf verschiedene Arten und Weisen aus.”

DR. PARNIAN PARVANTA

 
 
 
 
 
 
“Gender-Medizin ist total wichtig. vieles basiert auf den Erfahrungen von Männern- Dieser Ansatz ist zu einseitig.” 

DR. MAYA FEHLING

 

LESEN         

   

“Die Welt ist heute so stark verbunden, dass man sich nicht mehr leisten kann, Mediziner* innen nicht in globaler Gesundheit auszubilden!”

DR. ASSIA BRANDUP-LUKANOW

“Wenn ich mir etwas wünschen könnte: Eine geschlechter sensible Herangehens- weise! Bis in die Enzymzusammen- setzung der Leber gibt es Geschlechter- unterschiede.”

DR. MARTINA KLOEPFER

“ES TREIBT MICH AN, UNGERECHTIGKEITEN ANZUGEHEN! DENN WENN ICH ETWAS UNGERECHT FINDE, KANN ICH NICHT SO TUN, ALS OB ES RICHTIG WÄRE.”

PROF. DR. DR. BETTINA PFLEIDERER

“Wenn man wirklich im globalen Feld tätig sein möchte, sollte man gerne im Ausland arbeiten. Man kann diese Tätigkeit nicht vom Schreibtisch aus machen.”

MARTINA MERTEN

“Um realistisch in notlagen helfen zu können, bedarf es eines ausreichenden wissens […]. Lernen auf kosten von menschen, die keine andere wahl haben und sich nicht wehren können, sollte keien option sein.”

DR. CHRISTOPH ZERM

WIR SOLLTEN ALLE FÜR DIE PRIVILEGIEN , DIE WIR HABEN, DANKBAR SEIN (…). SICH DIESER (…) BEWUSST ZU WERDEN, WÄRE DER ERSTE SCHRITT, DIE VERANTWORTUNG DAFÜR ZU ÜBERNEHMEN UND SIE ZU TEILEN, DER ZWEITE.”

PROF. DR. STEFAN BÖSNER

“AUCH WENN WIR NUR SEHR KLEINE ERFOLGE ERZIELEN, BIETET SICH HIER DIE MÖGLICHKEIT, NICHT SPRACH- UND MACHTLOS UNTERVERSORGUNG HINZUNEHMEN, SONDERN SICH FÜR UNSERE PATIENTINNEN UND IHRE RECHTE EINZUSETZEN.”

DR. NINA SCHMEDT AUF DER GÜNNE

“BEDÜRFTIGEN MENSCHEN ZU HELFEN UND SEHEN, DASS MAN TATSÄCHLICH ETWAS BEWEGEN KANN, DAS IST JEDE MÜHE WERT.”

DR. ROBERT WUNDERLICH M.SC DM

“ES GEHT NICHT DARUM, EIN GEWISSES ZIEL ZU ERREICHEN, SONDERN DER WEG DAHIN IST DAS ZIEL. SOMIT GIBT ES KEINE RÜCKSCHRITTE, ALLES TRÄGT ZUM KARRIEREWEG BEI.”

DR. JOOST BUTENOP MPH

“AM ANFANG EINER KARRIERE IST MAN HÄUFIG SEHR UNGEDULDIG UND FRUSTRIERT, WEIL MAN AUF SOFORTIGE ERFOLGE HOFFT. ABER ÜBER DIE JAHRE SIEHT MAN, WIE SICH DINGE DOCH LANGSAM VERÄNDERN.”

DR. PETER TINNEMANN MPH

“AUSLANDSERFAHRUNG IST WICHTIG, WENN MAN SICH GLOBAL HEALTH VERSCHREIBT. VIELE THEMEN FINDEN SICH JEDOCH AUCH DIREKT VOR UNSERER HAUSTÜR.”

PROF. DR. RALF WEIGEL

“WENN MAN WIRKLICH LEIDENSCHAFTLICH BEI DER SACHE IST, ERGIBT SICH FÜR JEDEN EINEN WEG.”

PD DR. WALTER BRUCHHAUSEN

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PD DR. MED. WALTER BRUCHHAUSEN

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte, Anthropologie und Ethik der Medizin der Universität Köln, Dozent im Global Health Master der Universität Bonn

Auslandsaufenthalte: Senegal, Ruanda, Kongo, Tansania, Indonesien.

BVMD: Können Sie uns mehr über Ihre Arbeit erzählen?

PD Dr. Bruchhausen: Hauptberuflich bin ich aktuell wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin an der Universität Köln, wo ich vereinzelt auch Global Health unterrichte. Ich unterrichte ebenfalls in Bonn im Rahmen eines Wahlpflichtfaches Global Health, das ich 2011 aufgebaut habe, und im neuen Masterstudiengang Global Health der Universität Bonn. 

Neben meiner lehrenden Tätigkeit bin ich in vielen weiteren Bereichen aktiv. So arbeite ich intensiv in einer AG zum Recht auf Gesundheit bei Justitia et Pax zur Unterstützung afrikanischer Partner, nehme am runden Tisch „Gesundheit“ des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) als Austausch zwischen Regierung und Zivilgesellschaft teil und leite mit einem Hamburger Kollegen den Arbeitskreis für medizinische Entwicklungshilfe (AKME), der Wissenschaft und Hilfsorganisationen zusammenbringt. 

Weiterhin nehme ich an der Auswahl und Betreuung von außereuropäischen StipendiatInnen für Gesundheitsberufe beim KAAD (Katholischer akademischer Ausländerdienst) teil und bin ein Mentor des BVMD Projektes GandHi (Globalisation and Health Initiative). 

Ich bin also viel damit beschäftigt an Sitzungen und Tagungen teilzunehmen, zu lehren, aber auch in der Forschung Artikel zu lesen und verfassen. 

 

BVMD: Sie haben parallel zu Ihrer medizinischen Ausbildung ein Diplom-Studium in Theologie abgeschlossen. Wie kam es dazu? Hat es Ihr Engagement und berufliche Ausrichtung beeinflusst?

PD Dr. Bruchhausen: Da stand sicher auch noch der alte Gedanke von Missionsärzten und dem großen Vorbild Albert Schweitzers im Hintergrund. Aber die Theologie mit ihrer großen Breite an Methoden und Ansätzen, insbesondere ethischen, historischen, sozial- und kulturwissenschaftlichen, hat mir als Gegengewicht zum stark naturwissenschaftlichen Medizinstudium ebenso geholfen, meine Rolle als europäischer christlicher Arzt in einer kulturell, sozial und religiös vielfältigen Welt zu klären. So hat sie meine jugendliche Begeisterung für Engagement in medizinisch unterversorgten Gebieten weiterentwickelt und zugleich eine wissenschaftliche Grundlage für meine heutige Tätigkeit an der Uni gelegt.

 

BVMD: Was gefällt Ihnen am meisten und am wenigsten an Ihrer Arbeit? 

PD Dr. Bruchhausen: Der häufige und rege Kontakt zu jungen, motivierten und aufgeschlossenen Studierenden macht mir sehr viel Spaß.  Was mir weniger gefällt sind die Widerstände ideologischer oder administrativer Art, mit denen man konfrontiert wird. Meiner Meinung nach liegt zum Beispiel der Fokus viel zu stark auf kurativer anstatt präventiver Medizin und auf dem Erwerb neuer Kenntnisse anstatt bereits vorhandenes Wissens für alle Menschen zugänglich und nützlich zu machen.

 

BVMD: Wann hatten Sie zum ersten Mal Kontakt mit humanitärer Hilfe?

PD Dr. Bruchhausen: Einen ersten Auslandsaufenthalt absolvierte ich im Rahmen einer Famulatur in 1987 in Tansania. Dann fing ich 1995 an für den Malteser Hilfsdienst zu arbeiten und absolvierte Einsätze in Ruanda und der demokratischen Republik Kongo.  Ich war dort jeweils chirurgisch und gleichzeitig als Projektleiter tätig. Es war eine der schönsten und intensivsten beruflichen Erfahrungen, die ich je hatte. Die Arbeitslast war sehr hoch, wir haben damals bis zu 7 Tagen die Woche gearbeitet und ich war manche Woche jede Nacht in Rufbereitschaft, aber man hat extrem viel gelernt.

 

BVMD: Haben Sie sich nicht überfordert gefühlt? Wurden sie auf den Einsatz vorbereitet?

PD Dr. Bruchhausen: Besonders anfangs war ich sicher überfordert. Vor meinem ersten Einsatz 1995 hatte ich erst drei Jahre Berufserfahrung in der Chirurgie und musste von einem Tag auf den anderen ein chirurgisches Team leiten. Ich musste lernen zu improvisieren und selbstständig zu arbeiten. Hinzu kamen Herausforderungen ganz anderer Art, da man auch Personalverantwortlicher war. Konflikte innerhalb des Teams oder Anspannungen im sozialen Umfeld zu lösen, die Sicherheit des Teams zu gewährleisten gehörten zu den alltäglichen Aufgaben. 

Der Malteser Auslandsdienst bot uns Kurse an, die einen auf die Kultur, Sicherheit im Land und auch fachlich instruierten. Die waren sehr empfehlenswert, aber natürlich kann kein Kurs einen auf die Realität vor Ort vorbereiten. 

 

BVMD: Wie schaffen Sie es Ihre klinische Tätigkeit mit Ihrem Engagement zu vereinbaren?   

PD Dr. Bruchhausen: Ich musste leider die klinische Tätigkeit aufgeben. Nach meinem Abschluss arbeitete ich drei Jahre als Assistenzarzt in Deutschland, anschließend zwei Jahre für den Malteser Auslandsdienst in Rwanda und Ost-Kongo. Als ich zurückkam, arbeitete ich in der Vorbereitungszeit auf eine volle Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Medizinhistorischen Institut in Bonn in Teilzeit hausärztlich, bis ich die klinische Tätigkeit ganz aufgab. Ich habe somit nie einen Facharzttitel erlangt. 

 

BVMD: Vermissen Sie die klinische Tätigkeit?

PD Dr. Bruchhausen: Sicher, aber unter dem aktuellen deutschen Gesundheitssystem, wäre es mir unmöglich gewesen meinen Ansprüchen auf eine qualitativ gute und empathische Medizin gerecht zu werden. 

 

BVMD: Welche Herausforderungen mussten Sie sich in Ihrem beruflichen oder persönlichen Leben stellen? 

PD Dr. Bruchhausen: Die größte Herausforderung war nach meiner Rückkehr mein Engagement für Gesundheit in Afrika in Deutschland fortzusetzen. Es war schwierig Kollegen für das Thema zu gewinnen und an den Universitäten zu verbreiten.  

 

BVMD: Wenn Sie auf Ihren bisherigen Karriereweg zurückblicken, gibt es etwas was Sie anders gemacht hätten?

PD Dr. Bruchhausen: Ich hätte weniger Zeit und Arbeit im Bereich Geschichte und Ethik der Medizin verbracht. Mein Interesse war vor allem auf Entwicklungsländer fokussiert, während Geschichte und Ethik der Medizin in Deutschland sehr Europa-zentriert sind. Ich stieß im Rahmen meiner Arbeit in der Medizingeschichte nur auf wenige Menschen, die meine Leidenschaft und Interesse teilten. 

 

BVMD: Wenn man Ihnen ein bezahltes freies Jahr schenken würde, was würden Sie tun?

PD Dr. Bruchhausen: Ich würde wieder nach Ostafrika reisen um im Gesundheitswesen mitzuwirken. Ich könnte mir vorstellen ein innovatives Projekt zu starten, wo Wissenschaft an konkreten Fragestellungen oder Bedürfnissen orientiert ist. 

 

BVMD: Welche Ratschläge haben Sie an MedizinstudentInnen, die sich in diesem Bereich engagieren möchten?

PD Dr. Bruchhausen: Ich glaube man sollte einfach anfangen zu arbeiten ohne viel zu planen, und zwar in dem, was einen wirklich interessiert. Wenn man wirklich leidenschaftlich bei der Sache ist, ergibt sich für jeden einen Weg. 

 

BVMD: Betreuen Sie auch Doktorarbeiten? Wenn ja auf welchem Gebiet?

PD Dr. Bruchhausen: Besonders intensiv ist natürlich die Betreuung von mehrjährig Vollzeit-Promovierenden, die es in der Medizin kaum gibt, aber z.B. in Public Health. Bei sehr engagierten Medizinstudierenden, die unbedingt im Bereich Global Health arbeiten möchten, suchen wir dann gemeinsam nach Themen, die sie gut bearbeiten können, z.B. durch Archivrecherchen, Umfragen oder Feldforschung vor Ort. Aber das ist sicher nichts für diejenigen, die nur einfach etwas anderes als experimentelle oder klinische Arbeiten machen wollen.


Lebenslauf:

Bruchhausen, Lebenslauf

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PROF. DR. MED. RALF WEIGEL

Professor für Globale Kindergesundheit an der Universität Witten-Herdecke       

Auslandsaufenthalte: Nigeria, Indien, Malawi, England.

BVMD: Können Sie uns mehr über Ihre Arbeit erzählen?

Prof. Weigel: Ich habe seit Oktober 2017 die Professur für globale Kindergesundheit an der Universität Witten/Herdecke inne, die erste dieser Art in Deutschland. Das geht natürlich mit großer Verantwortung einher, globale Kindergesundheit zu lehren, zu entwickeln und sichtbar zu machen. Letztendlich definiert die Gesundheit unserer Kinder heute die Gesundheit der Erwachsenen von morgen! Unsere junge Arbeitsgruppe besteht derzeit aus zwei wissenschaftlichen MitarbeiterInnen und einer Assistentin. 

 

BVMD: Was für Aufgaben gehen mit Ihrer Professur einher?

Prof. Weigel: Zurzeit erarbeiten wir unsere Schwerpunkte und schreiben Anträge. Wie möchten wir uns auf nationaler und internationaler Ebene aufstellen? Mit welchen Partnern möchten wir arbeiten? Was sind Prioritäten bezogen auf Kindergesundheit international?  Welche Interventionen sind am effektivsten und wo ist der Bedarf am größten? Das sind alles entscheidende Fragen, die wir uns bei der Ausarbeitung unserer Schwerpunkte stellen müssen. 

 

BVMD: Haben Sie schon konkrete Schwerpunkte oder Vorstellungen?

Prof. Weigel: Wir wollen die Lehre zu unserem Fachgebiet entwickeln und fördern.  An der Universität Witten-Herdecke haben wir bereits ein Wahlfach in globaler Kindergesundheit entwickelt.  Außerdem können Studierende der klinischen Semester im Rahmen eines Wahlpflichtangebotes an einem 2-wöchigen Kurs in Malawi teilnehmen. Hier können sie sich mit den entsprechenden lokalen Gesundheitsstrukturen und dem theoretischen Hintergrund dazu vertraut machen. Viel Zeit beansprucht außerdem die Vorbereitung der jährlichen Tagung der Gesellschaft für Tropenpädiatrie und Internationale Kindergesundheit (GTP), die im Januar 2019 bei uns in Witten-Herdecke stattfindet (https://globalchildhealth.de). Dann möchte ich noch den ETAT Kurs erwähnen, den GTP Mitglieder gerade bei uns durchgeführt haben. 

 

BVMD: Was sind ihre Forschungsschwerpunkte?

Prof. Weigel: Unser Schwerpunkt ist Implementierungs- oder sog. Operational Research. Haben implementierte Interventionen die gewünschten Effekte? Es geht darum, den Erfolg von evidenz-basierten Maßnahmen zu messen und Betreuungsprogramme zu evaluieren. Ein Projekt findet zum Beispiel im Kamuzu Central Hospital in Malawi statt. Mittels einer Mixed-Methods Studie, das heißt mittels qualitativer und quantitativer Methoden, schätzen wir die Qualität der Ausbildung lokaler pädiatrischer Gesundheitsarbeiter ein. Für ein weiteres Projekt, das auf die Evaluation von Interventionen zur Verbesserung des Kinderschutzes in Nordrhein-Westfalen abzielt,  warten wir noch auf eine Zusage. Wir hoffen auch, dass unser Antrag zur Unterstützung einer Partnerschaft für die medizinische Hochschule in Bhutan erfolgreich ist. Gute Forschung ist nur auf der Basis einer vertrauensvollen Partnerschaft möglich.

 

BVMD: Was gefällt Ihnen am meisten und am wenigsten an Ihrer Arbeit? 

Prof. Weigel: Durch unsere Pionierarbeit können wir eigene Schwerpunkte in Forschung und Lehre setzen. Die nationalen und internationalen Debatten zu verfolgen und zu beeinflussen ist sehr spannend. Wir haben motivierte Partner an der Uni und mit der GTP, und die Zusammenarbeit inspiriert uns.  Manchmal stört mich die Indifferenz zu globalen Gesundheitsfragen, die einem gelegentlich begegnet, aber ich konzentriere mich eigentlich nicht so sehr auf das Negative. 

 

BVMD: Wann hatten Sie zum ersten Mal Kontakt mit globaler Gesundheit?

Prof. Weigel: Während meiner Ausbildung zum Facharzt für Kinderheilkunde reiste ich für 6 Wochen mit der Hilfsorganisation German Doctors nach Kalkutta, Indien. Dort leisteten wir allgemeinmedizinische Versorgung in einem Armenviertel. Das war prägend, da ich zum ersten Mal erlebte, was Armut bedeutet. Die Menschen dort waren sehr offen und sehr gastfreundlich. 

 

BVMD: Sie arbeiteten 8 Jahre in Malawi, wie kam es dazu?

Prof. Weigel: Während meiner Weiterbildung zum Kinderarzt an der Charité arbeitete ich in der HIV-Kindertagesklinik. Viele der Familien stammten aus anderen Ländern und Kulturen. Auch auf internationalen Konferenzen wurde mir bewusst, wie global und umfassend die HIV Problematik ist, sodass mein Interesse für einen Auslandseinsatz geweckt wurde. Ich bewarb mich für eine Stelle als klinischer Berater in Malawi, die vom malawischen und deutschen Gesundheitsministerium finanziert wurde. Neben klinischer Arbeit ging es auch um Gesundheits- und Qualitätsmanagement in Einrichtungen für Menschen mit HIV Infektion. Zum Beispiel bemühten wir uns Abläufe zu optimieren um Wartezeiten zu reduzieren, die Dokumentation zu verbessern, Umfragen durchzuführen und so die Qualität der Versorgung zu erhöhen. Über die Zeit vergrößerte sich die Klinik von anfangs 25 auf mehr als 100 Mitarbeiter und die Zahl der Patienten stieg von anfangs 500 auf mehr als 10000. 

 

BVMD: Nach Malawi, Liverpool… was brachte Sie dorthin?

Prof. Weigel: In Liverpool war ich 7 Jahre lang Dozent an der „Liverpool School of Tropical Medicine“ (LSTM) und arbeitete am Liverpooler Kinderkrankenhaus als Consultant. An der LSTM leitete ich die beiden Postgraduierten Kurse „Masters of Tropical and Infectious Diseases“ und „Masters of Tropical Pediatrics“. Zu den Kursen kamen Studierende aus aller Welt, sowohl aus westlichen Ländern als auch aus Entwicklungsländern, was den Austausch sehr bereicherte.  Wir beschäftigten uns nicht nur mit klinischen Problemen, sondern diskutierten auch andere Fragen. Wie kann Forschung besser helfen dringende Gesundheitsprobleme zu lösen? Wie entwickle ich ein Krankheitskontrollprogramm? Ich hatte das Gefühl, die Erfahrungen aus Malawi weitergeben zu können.

 

BVMD: Wie schaffen Sie es Ihre klinische Tätigkeit mit Ihrem Engagement zu vereinbaren?

Prof. Weigel: Seit meiner Ankunft in Witten habe ich mit der Klinik aufgehört. Gerade am Anfang ist hier einfach zu viel zu tun. Lehre, Forschung und Klinik unter einen Hut zu bringen und gut zu machen ist sehr schwierig. 

 

BVMD: Welche Herausforderungen mussten Sie sich in Ihrem beruflichen oder persönlichen Leben stellen?

Prof. Weigel: Das richtige Gleichgewicht zwischen privatem Leben und Beruf zu finden. Was trägt, was verkraftet eine Familie? Zeit mit der Familie ist mir wichtig und diese will ich gut nutzen.  Der Länderwechsel und die vielen Reisen müssen eine Chance für alle FamilienmitgliederInnen darstellen. 

 

BVMD: Wenn man Ihnen ein bezahltes freies Jahr schenken würde, was würden Sie tun?

Prof. Weigel: Weiter machen! Meine Arbeit erfüllt mich sehr. 

 

BVMD: Welche Ratschläge haben Sie an Medizinstudierende, die sich in diesem Bereich engagieren möchten?

Prof. Weigel: Sich entscheiden und „rausgehen“, wenn die Karten gut sind und es passt. Für uns war es wichtig, dass wir die Facharztprüfung hinter uns und schon einige klinische Erfahrung hatten. Nebenberuflich absolvierte ich ein Fernstudium in Infectious Diseases – das vermittelte mir das Rüstzeug vor allem in Public Health. Ich denke auch immer wieder an die vielen Kollegen aus den unterschiedlichsten Ländern und Bereichen deren Wege ich kreuzen durfte.  Diese Bekanntschaften und Freundschaften brauchen Pflege. Auslandserfahrung ist wichtig, wenn man sich Global Health verschreibt. Viele Themen finden sich jedoch auch direkt vor unserer Haustür

 

BVMD: Gibt es die Möglichkeit bei Ihnen zu promovieren?

Prof. Weigel: Ja, definitiv! Interessierte können sich melden, möglichst schon mit Ideen.

 

BVMD: Wenn Sie den Medizinstudierenden noch eine Botschaft mitgeben könnten, welche wäre Sie?

Prof. Weigel: Empathie im Kontakt zu anderen ist der Beginn von allem!


Lebenslauf:

Kurz_CV_Weigel